Phantomflug
FBW-Pressetext
Der Soldat streift durch die Wiese. Seine Hände berühren die Grashalme, seine Schritte sind ruhig. Vögel fliegen durch die Luft. Oder stürzen sie etwa ab? Auf der Tonebene ein Schlaflied, Babys sind zu sehen. Doch das Lied klingt verzerrt, es vermischt sich mit alarmierenden Tönen, eine Kakophonie an Geräuschen und Eindrücken. Und über allem steht der Filmemacher, der sich an einem Mantra festhält: „Ich kann mir das Sterben nicht vorstellen. Du kannst keinen Menschen im Kopf töten für deinen Film.“ In seinem Essayfilm PHANTOMFLUG behandelt der Filmemacher Gor Margaryan das Thema Krieg, ohne es eindeutig zu benennen. Vielmehr nutzt er Symbolbilder und vor allem die Kraft der Tonebene, um bei den Betrachtenden Emotionen zu evozieren, die eindeutig mit Krieg, Flucht, dem Verlust der Unschuld verbunden sind. Doch das selbst der Krieg auch das Schöne nicht töten kann, beweist ein Gedicht, in dem die sehnsuchtsvolle Liebe heraufbeschworen wird. Zu was oder wem genau, lässt Gor Margaryan offen, deutet es durch eine nicht näher zugeordnete Frauenfigur nur an. Wie der Rest des Films arbeitet auch diese Bedeutungsebene mit dem subjektiven Rezipieren. Fast unsichtbar leitet der Film die Zuschauenden durch eine gewisse vorgegebene Struktur, die aber nicht zwingend für den Genuss dieses atmosphärischen dichten und im Zusammenspiel der Gewerke künstlerisch beeindruckenden Filmessays ist.Filminfos
Gattung: | Dokumentarfilm; Experimentalfilm; Kurzfilm; Essayfilm |
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Regie: | Gor Margaryan |
Drehbuch: | Gor Margaryan |
Kamera: | Laura Charlotte Cord; Nenad Cosic; Gor Margaryan |
Schnitt: | Gor Margaryan |
Länge: | 16 Minuten |
Produktion: | Gor Margaryan |
Jury-Begründung
Filmessays, wenn noch mit experimentellem Einschlag, entziehen sich fast einer Bewertung, weil sie eher in die Kategorie freier bildender Kunst oder Malerei und damit größter Freiheit und Subjektivität fallen.Im Falle des 16-Minüters von Gor Margaryan hat sich die Jury aber für ein Prädikat BESONDERS WERTVOLL entschieden. Denn niemand konnte sich dem assoziativen, formenreichen Bilder- und Tonstrom von PHANTOMFLUG entziehen. Was erzählt wird, bleibt dabei zwar im interpretationsfähigen Vagen, ist aber konkret genug, um klare Themen anzureißen. Es geht um Kriegserfahrung, den daraus resultierenden Verlust von Menschen – und das in Familien über Generationen hinweg. Eine Collage aus Geräuschen (Schäferhundbellen, Stimmengewirr) führt dabei gepaart mit Volksmusikelementen wie durch ein schlecht eingestelltes Radio. Verzerrten Sprachsequenzen (Deutsch, Englisch wie in BBC Nachrichten und eine ostslawische Sprache) bringen Zuschauer:innen und Zuhörer:innen auf die Spur von Geschichte und Krieg.
Das wird anhand von Super-8 und 16mm-Sequenzen, schwarz-weiß, zum Teil stummfilmhaft sepia-rot eingefärbt, assoziativ erfahrbar: durch Kindheitsbilder, durch Szenen mit einer geliebten jungen Frau auf einem Fahrrad, die wahrscheinlich getötet wurde, mit Luftbildaufnahmen vom Himmel, an denen die Silhouette eines Bomberflugzeugs sich abzeichnet, zu denen wiederum Szenen von Storchenflug (Natur) oder Drachenfliegen (Freizeitfreude) gegenmontiert sind.
Diese (alb)traumhafte Melange wirkt dabei niemals beliebig, sondern suggestiv und – bei aller gewollten amateurhaften und damit quasidokumentarischen Art – auch kunstvoll komponiert.
Am Anfang und Ende ist auf der Tonspur die Reflexion des Filmemachers gesetzt, wie man mit der Darstellung von Mord und Tot umgehen sollte – nämlich niemals Tote zeigen, um ihrer Würde Willen. So ist ein wirklicher Filmessay entstanden, irritierend, schwer einzuordnen, nicht genau zu deuten, dennoch in Haltung und Themenfeld klar, so dass keiner unberührt bleibt.