Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Kinostart: 31.08.17
2017
Filmplakat: Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt

FBW-Pressetext

Der 9. November 1989 ist in Karl Schmidts Erinnerung nicht der Tag, an dem die Mauer fiel. Sondern der Tag, an dem er in ein „Sanatorium“ eingeliefert wurde. Fünf Jahre ist das nun her. Mittlerweile lebt Karl in einer betreuten WG in Hamburg und arbeitet als Hausmeister im Kinderheim. Eines Tages trifft Karl auf seinen alten Kumpel Raimund. Raimund ist Techno-DJ und betreibt mit Ferdi zusammen eine Plattenfirma namens „Bumm Bumm Records“. Als Raimund und Ferdi Karl vorschlagen, ihn als Fahrer für die anstehende „Magical Mystery“-Tour anzuheuern, lehnt Karl ab. Doch die beiden geben nicht auf. Die Tour wird echt klasse, sagen sie. Wie damals bei den Beatles. Da kann man was erleben und außerdem sei Karl der ideale Fahrer, weil er nicht trinkt oder Drogen nimmt. Karl ist unschlüssig. Doch was wäre die Alternative? In Hamburg versauern? Dann lieber on the road, im viel zu engen Tourbus und mit Übernachtungen in miefigen Hotels. Und so entdeckt Karl Schmidt eine völlig neue Welt. Bei der er nicht weiß, ob er dazugehören will. MAGICAL MYSTERY wurde erdacht von Roman- und Drehbuchautor Sven Regener und umgesetzt von Regisseur Arne Feldhusen. Beiden zu eigen ist der wunderbar trockene und lakonische Humor, der den Film durchzieht und die Erinnerung wachruft an die anderen Geschichten von Regener, die MAGICAL MYSTERY vorausgehen, wie etwa HERR LEHMANN und NEUE VAHR SÜD. Die Figuren sind nie Gewinnertypen, sind nie ganz oben auf der Leiter des Lebens. Und doch sind sie charmant, lebensecht und sympathisch. Auch hier hat sich wieder ein skurriles und liebenswertes Ensemble an Protagonisten versammelt. Die Darstellerriege rund um Marc Hosemann, Jakob Matschenz, Bjarne Mädel und Detlev Buck – der in Regeners Universum in einer anderen Rolle zurückkehrt – zeigt ansteckende Spielfreude und wächst dem Zuschauer mit individuellen Eigenarten und eingängigen Schlüsselsätzen schnell ans Herz. Und Charly Hübner spielt Karl, aus dessen Perspektive wir die Geschichte und das Lebensgefühl der 90er erzählt bekommen, mit herrlich ausdrucksloser und stoischer Mimik. Ein Bär von einem Mann, ruhig, scheinbar unerschütterlich. Doch oftmals gerät Karl in Grenzsituationen, die ihn fast wieder umkippen lassen und die Feldhusen surreal chaotisch in Szene setzt. Überhaupt zeigt der Regisseur ein sicheres Gespür für Stimmungen. Gerade die Raves, die sowohl auf der Bühne als auch Backstage exzessiv gezeigt werden, lassen die 90er Jahre wieder aufleben. MAGICAL MYSTERY ist ein Film, der von seiner Lässig- und Leichtigkeit lebt und mit dem Zuschauer eine unterhaltsame Zeitreise unternimmt in ein Jahrzehnt, in dem die Haare bunt waren, Lieder keine Texte mehr hatten und die richtig guten Partys erst am frühen Morgen losgingen. Und in dem Karl Schmidt zurückkehrte.

Filminfos

Gattung:Komödie; Spielfilm
Regie:Arne Feldhusen
Darsteller:Charly Hübner; Annika Meier; Detlev Buck; Marc Hosemann; Bastian Reiber; Jacob Matschenz; Sarah Bauerett; Leon Ullrich; Jan-Peter Kampwirth; Sarah Viktoria Frick; Bjarne Mädel
Drehbuch:Sven Regener
Buchvorlage:Sven Regener
Kamera:Lutz Reitemeier
Schnitt:Benjamin Ikes
Musik:Charlotte Goltermann
Länge:111 Minuten
Kinostart:31.08.2017
Verleih:DCM
Produktion: Razor Film Produktion GmbH
FSK:12
Förderer:FFA; MBB; Filmstiftung NRW; DFFF; MDM; FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Sven Regener schreibt rückwärts. Drei Jahre nach „Herr Lehmann“, seinem phänomenalen Einstieg in die literarische Welt im Jahre 2001, legte der Sänger von „Element of Crime“ seinen zweiten Roman „Neue Vahr Süd“ vor. Nach seiner Liebeserklärung an das hippe Kreuzberg im Schatten der Mauer, von Leander Haußmann kongenial in Szene gesetzt, schrieb er über Frank Lehmanns Vergangenheit in Bremen. Es folgten „Kleiner Bruder“ und 2013 der Roman „Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt“, der an „Herr Lehmann“ anknüpft. Dieser spielt allerdings nur eine Nebenrolle, im Zentrum steht der spinnige Eigenbrötler und Künstler Schmidt, für den der Ku´damm in den 1980ern feindliches Gebiet war. Am Tag des Mauerfalls landet er in der „Klapse“.


Der Film kommt zum 50. Geburtstag des legendären „Magical Mytery Tour“-Albums der Beatles in die Kinos, und 20 Jahre nach dem Höhepunkt der Techno-Welle, in der DJs die Stars der Musikszene waren, die Pop- und Rockmusik zu eigenen Soundteppichen recycelten. Nächtelang feierten die Deutschen in Hallen und auf Dancefloors, unterstützt von synthetischen Drogen. Diesen Teil der Szene erwähnt der Film erst relativ spät. Damit nimmt er der Figur des Karl Schmidt in den Augen der Jury einen Teil der Fallhöhe. Schließlich soll er ja nach Drogen- und Alkoholentzug der Versuchung widerstehen.

Denn nur weil Karl Mitte der 1990er clean ist und in einer betreuten Einrichtung unter der Kontrolle von Sozialarbeitern steht, hat ihn sein alter Kumpel Ferdie als Busfahrer und Manager der Tournee der DJs des Labels „Bumm Bumm Records“ angeheuert. Die Musik hat Ferdie und Raimund Schulte reich gemacht. In einem klapprigen Bus fahren die Plattenaufleger kreuz und quer durch die alte Bundesrepublik. Der Film führt in abgeranzte Viertel der Großstädte, in denen die glitzernden Tanzschuppen die Realitätsmüden erwarten.

Für Karl Schmidt ist es ein Trip, um sich aus der Umklammerung der Sozialarbeiter zu lösen, wieder Verantwortung zu lernen und zu einem selbstbestimmten Leben zurückzufinden. Zum Schluss besiegt er sogar seine paranoiden Ängste und fährt mühelos über den Ku´damm. Diesen Prozess, der eher beiläufig geschieht, bringt Hübner mit Körperhaltung und Gesten rüber. Seine Interpretation der Figur zählt unbestritten zu den Stärken des Films.

Arne Feldhusen, der sich in der Comedy-Szene einen Namen als Regisseur von STROMBERG, LADYKRACHER und DER TATORTREINIGER gemacht hat beschwört detailreich die Atmosphäre und Ästhetik jener Jahre. Man merkt den guten Schauspielern die Lust am Spielen an, die Dialoge atmen den lakonischen Humor Regners. Die Musik gibt den Rhythmus vor, doch stimmungsmäßig bleibt der Film, nach Ansicht der Jury, ohne wirkliche Höhen und Tiefen stets auf der gleichen Ebene. Zudem verliert er sich nach gutem Beginn in einer Aneinanderreihung einzelner Episoden.

Die Jury erkennt jedoch die eindeutigen Stärken des unterhaltenden Films an und verleiht ihm daher das Prädikat „wertvoll“.