FBW-Pressetext

Am Anfang sieht man nur Hände, die Schatten eines Gesichts, den Blick auf den Boden. Ein Mann beruhigt eine Frau. Danach der suchende Blick. Warum sind die Hände gefesselt? Wo sind wir? Ein Rundgang durch ein Zimmer. Verschiedene Gegenstände liegen herum. Wem gehören sie? Fotos zeigen glückliche Tage. Wer sind die Personen auf dem Bild? In sechs Minuten erzählt die Animationskünstlerin Izabela Plucinska eine assoziative Geschichte rund um das Vergessen und das Suchen nach der eigenen Identität. Ihre Bilder formt Plucinska dabei mit einem Höchstmaß an Kunstfertigkeit aus Ton und das stetige Ineinanderübergehen von Formen und Bildern schaffen dabei verschiedene Möglichkeiten des Sehens. Der Zuschauer ist völlig frei in seiner Interpretation, kann eigene Geschichten lesen, kann Dinge sehen, kann Verbindungen ziehen und Zusammenhänge begreifen. Plucinskas Werk gibt keine feste Lösung vor. Ein überaus inspirierendes Kurzfilm-Kunstwerk.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Kurzfilm
Regie:Izabela Plucinska
Darsteller:Kathrin Angerer; Teo Vadersen
Drehbuch:Izabela Plucinska
Kamera:Izabela Plucinska
Schnitt:Daniel Scheimberg
Musik:Detlef Schitto
Länge:6 Minuten
Produktion: Claytraces GbR
Förderer:BKM; MBB; DFFF

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die in Berlin und Warschau arbeitende Filmemacherin Isabella Plucinska hat sich im vergangenen Jahrzehnt einen festen Platz in der internationalen Animationsszene erobert. Mit JAM SESSION, ihrem Abschlussfilm an der HFF „Konrad Wolf“, gewann sie 2005 den Silbernen Bären der Berliner Filmfestspiele. Nach der Adaption von Hans Magnus Enzensbergers fantasievollem Kinderbuch „Esterhazy“, die einem Familienpublikum spielerisch die Folgen der Teilung Deutschlands durch eine Mauer verdeutlichte, legt sie mit LIEBLING einen inhaltlich mehrschichtigen, philosophisch inspirierten und ästhetisch ausgefeilten Kurzfilm vor, für den sie mit der von ihr perfektionierten Knet-Technik experimentierte und eine adäquate künstlerische Umsetzung fand.
Plucinska nimmt Abschied von der figürlichen Darstellung bei der zeitaufwändigen Arbeit mit Knete, bei der Bild für Bild eingerichtet und abfotografiert wird. Sie setzt auf assoziative Bilder, um eine Momentaufnahme von der Auseinandersetzung eines Menschen mit dem Verlust seines Gedächtnisses zu illustrieren, die in eine fundamentale Identitätskrise mündet. Gefühle wie Angst, Einsamkeit, Schmerz, Verlassensein blitzen auf. Eine Persönlichkeit zerfällt in ihre Einzelteile. Sie muss sich erst ihrer verdrängten Vergangenheit stellen, um aus den Mauern des inneren Gefängnisses auszubrechen und zu einem Neuanfang zu finden.
Wie in all ihren Filmen setzt Isabella Plucinska den Ton nur spärlich ein, um die Aussage der eindringlichen Bilder zu unterstützen. Mit dem Gemütszustand ihrer Figur wandeln sich auch die Bildebenen. Sie beginnt mit flachen, reliefartigen Bildern, die wie gemalt und gerahmt wirken. Nachdem diese Begrenzung durchbrochen ist, öffnet sich das Bild. Die Figur wird skulpturenhaft, sie bewegt sich im Raum.
Plucinskas Werk entzieht sich letztlich eindeutigen Interpretationen. Sie deutet an, doch beherzigt letztlich die alte Weisheit, dass Kunst nicht Verstehen heißt, sondern Inspiration und Berühren lassen. Dies erreicht sie mit LIEBLING. Die Bilder und die dramaturgisch meisterhaft erzählte Geschichte wirken nach und bleiben lange im Gedächtnis.