Jurybegründung

Der Bewertungsausschuss verlieh dem Film einstimmig das Prädikat „Besonders wertvoll" Anerkennung verdient schon der Mut, sich mit einem so schwierigen Thema in einem Film auseinanderzusetzen. Man darf feststellen, dass das Resultat von tiefem Eindringen in den Stoff zeugt, dass der Film mit geistiger wie ästhetischer Intensität realisiert wurde und zugleich alles erfüllt, was filmisch überhaupt gefordert werden kann. Die biographische und historiographische Nähe zur Figur des Lenz wie zur geistig-literarischen Zeitsituation ist beachtlich. Zugleich vermittelt der Film eine interessante Begegnung mit dem Naturwissenschaftler Büchner, dessen Arbeit und Erkenntnisse auf den Gebieten der Psychologie und Psychopathie seiner Novelle „Lenz" wie dem Film zugrunde liegen. Die Situationen des Zerflatterns einer genialen Begabung, der Auflösung eines Geistes bis zur Zerstörung werden in einem Psychogramm festqehalten, das spannend und ergreifend ist. Die sehr feine Naht, die zwischen Realistik und unerklärten unterbewussten Bereichen verläuft und nach beiden Seiten an die Grenzen des Mystischen rührt, dieses erregende menschliche Spannungsfeld, das Büchners Studie kennzeichnet, bestimmt ohne Abschwächung auch die Atmosphäre des Films. Auch abgesehen von der deutlich angespielten Farbensymbolik hebt die Fotografie alles, was geschieht und was man sieht, in einen visionären Raum, in dem Reales, „Normales" und Gewohntes, Psychologisches und Psychopathisches, überhaupt alles Untergründige als gleich selbstverständlicher Lebensraum begriffen werden, als Schauplatz wirklichen menschlichen Schicksals. In diesen Raum wird von den ersten Bildern an auch all das einbezogen, was gewöhnlich „Milieu" bleibt. Trotz der klaren Zeitbezogenheit (nicht nur durch die einleitenden und abschließenden dokumentarischen Sequenzen) beruht die tiefe Wirkung auf der zeitlosen und allgemeinen Bedeutung, die den Zuschauer durchdringt. Diese Wirkung wird ausschließlich durch rein filmische Mittel erreicht, so durch die eigenartige Farbgebung der Fotografie, durch das Tempo und den Rhythmus der Bewegungen und des Schnitts. Da alles in einer Art Zeitlupe abläuft, was nicht etwa technisch zu verstehen ist, wird der Zuschauer sehr schnell darauf vorbereitet, sich auf innere Vorgänge einzustellen und zum Beispiel die heftigen Schwankungen zwischen Introvertiertheit und Exaltiertheit ganz natürlich zu finden. Die stilistische Geschlossenheit aller technischen, optischen, akustischen und darstellerischen Elemente führt nicht etwa zu einer nur ästhetisch schönen, das heißt monotonen Harmonie, sondern zu einer vibrierenden, den Zuschauer fast enervierenden und von Szene zu Szene steigenden Anspannung. Entscheidend ist dabei der Anteil der Darsteller des Lenz und des Pfarrers Oberlin. Es ist beachtlich, wie alle anderen Personen, ob Schauspieler oder Laien, mit gleicher Selbstverständlichkeit und gleicher Präsenz im Spiel sind. Der Hintergrund der Geschichte ist nicht allein das, wenn auch dominierende, Psychogramm einer schizophrenen Psychopathie; es kommen dazu philosophische und religiöse Aspekte und, nicht weniger fesselnd, ganz einfache menschliche und soziale Einblicke. Lenz selbst führt letzten Endes nicht Phasen einer Krankheit vor, sondern faszinierend die Gratwanderung eines Menschen zwischen Glaube und Unglaube; der eigentliche Schlüssel für das seelische Drama ist ganz unabhängig von den extrem wechselnden geistigen Zuständen das verzweifelte Ringen um Erlösung, das sich auch in der fast ebenso verzweifelten Suche nach neuen Inhalten und Ausdrucksformen der Kunst äußert. Überraschend aktuell die in einem Tischgespräch zitierte neue Kunstauffassung zwischen Goethe und Romantik, eine Auffassung, die wiederum unmittelbar in der Konzeption und in den Stilmitteln des Films anklingt. Bis in diese diffizilen Bereiche hinein spielt die Musik (wie auch sonst die sehr durchdachte akustische Ausstattung des Films) eine aufschlussreiche Rolle, die weit über Funktionen der Stimmung oder dergleichen hinausgeht, zum Beispiel in Übergängen, wo sich älteste kirchliche Motive mit modernen Klängen mischen. Auch dies unterstreicht die bei aller historischen und biographischen Genauigkeit nicht an Zeit und Person gebundene Allgemeingültigkeit eines menschlichen Schicksals, wie sie uns dieser Film zeigt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Kategorie:Spielfilm
Gattung:Historischer Film
Regie:George Moorse
Darsteller:Michael König
Drehbuch:George Moorse
Buchvorlage:Georg Büchner
Kamera:Gerard Vandenberg
Schnitt:Christa Wernicke
Musik:David Llywelyn
Verleih:Film- und Fernsehproduktion Workshop Barbara Moorse
Produktion: Literarisches Colloquium
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Bewertungsausschuss verlieh dem Film einstimmig das Prädikat „Besonders wertvoll" Anerkennung verdient schon der Mut, sich mit einem so schwierigen Thema in einem Film auseinanderzusetzen. Man darf feststellen, dass das Resultat von tiefem Eindringen in den Stoff zeugt, dass der Film mit geistiger wie ästhetischer Intensität realisiert wurde und zugleich alles erfüllt, was filmisch überhaupt gefordert werden kann. Die biographische und historiographische Nähe zur Figur des Lenz wie zur geistig-literarischen Zeitsituation ist beachtlich. Zugleich vermittelt der Film eine interessante Begegnung mit dem Naturwissenschaftler Büchner, dessen Arbeit und Erkenntnisse auf den Gebieten der Psychologie und Psychopathie seiner Novelle „Lenz" wie dem Film zugrunde liegen. Die Situationen des Zerflatterns einer genialen Begabung, der Auflösung eines Geistes bis zur Zerstörung werden in einem Psychogramm festqehalten, das spannend und ergreifend ist. Die sehr feine Naht, die zwischen Realistik und unerklärten unterbewussten Bereichen verläuft und nach beiden Seiten an die Grenzen des Mystischen rührt, dieses erregende menschliche Spannungsfeld, das Büchners Studie kennzeichnet, bestimmt ohne Abschwächung auch die Atmosphäre des Films. Auch abgesehen von der deutlich angespielten Farbensymbolik hebt die Fotografie alles, was geschieht und was man sieht, in einen visionären Raum, in dem Reales, „Normales" und Gewohntes, Psychologisches und Psychopathisches, überhaupt alles Untergründige als gleich selbstverständlicher Lebensraum begriffen werden, als Schauplatz wirklichen menschlichen Schicksals. In diesen Raum wird von den ersten Bildern an auch all das einbezogen, was gewöhnlich „Milieu" bleibt. Trotz der klaren Zeitbezogenheit (nicht nur durch die einleitenden und abschließenden dokumentarischen Sequenzen) beruht die tiefe Wirkung auf der zeitlosen und allgemeinen Bedeutung, die den Zuschauer durchdringt. Diese Wirkung wird ausschließlich durch rein filmische Mittel erreicht, so durch die eigenartige Farbgebung der Fotografie, durch das Tempo und den Rhythmus der Bewegungen und des Schnitts. Da alles in einer Art Zeitlupe abläuft, was nicht etwa technisch zu verstehen ist, wird der Zuschauer sehr schnell darauf vorbereitet, sich auf innere Vorgänge einzustellen und zum Beispiel die heftigen Schwankungen zwischen Introvertiertheit und Exaltiertheit ganz natürlich zu finden. Die stilistische Geschlossenheit aller technischen, optischen, akustischen und darstellerischen Elemente führt nicht etwa zu einer nur ästhetisch schönen, das heißt monotonen Harmonie, sondern zu einer vibrierenden, den Zuschauer fast enervierenden und von Szene zu Szene steigenden Anspannung. Entscheidend ist dabei der Anteil der Darsteller des Lenz und des Pfarrers Oberlin. Es ist beachtlich, wie alle anderen Personen, ob Schauspieler oder Laien, mit gleicher Selbstverständlichkeit und gleicher Präsenz im Spiel sind. Der Hintergrund der Geschichte ist nicht allein das, wenn auch dominierende, Psychogramm einer schizophrenen Psychopathie; es kommen dazu philosophische und religiöse Aspekte und, nicht weniger fesselnd, ganz einfache menschliche und soziale Einblicke. Lenz selbst führt letzten Endes nicht Phasen einer Krankheit vor, sondern faszinierend die Gratwanderung eines Menschen zwischen Glaube und Unglaube; der eigentliche Schlüssel für das seelische Drama ist ganz unabhängig von den extrem wechselnden geistigen Zuständen das verzweifelte Ringen um Erlösung, das sich auch in der fast ebenso verzweifelten Suche nach neuen Inhalten und Ausdrucksformen der Kunst äußert. Überraschend aktuell die in einem Tischgespräch zitierte neue Kunstauffassung zwischen Goethe und Romantik, eine Auffassung, die wiederum unmittelbar in der Konzeption und in den Stilmitteln des Films anklingt. Bis in diese diffizilen Bereiche hinein spielt die Musik (wie auch sonst die sehr durchdachte akustische Ausstattung des Films) eine aufschlussreiche Rolle, die weit über Funktionen der Stimmung oder dergleichen hinausgeht, zum Beispiel in Übergängen, wo sich älteste kirchliche Motive mit modernen Klängen mischen. Auch dies unterstreicht die bei aller historischen und biographischen Genauigkeit nicht an Zeit und Person gebundene Allgemeingültigkeit eines menschlichen Schicksals, wie sie uns dieser Film zeigt.