Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Hinter jedem großen Mann steht eine starke Frau. Dass dieser feministische Merksatz ausgerechnet auf den immer so eigenwillig und monumental wirkenden Alfred Hitchcock zutraf, ist eine der Überraschungen des Biopics HITCHCOCK, in dem eine der unsichersten Phasen in der Hollywoodkarriere des britischen Filmemachers behandelt wird. Nach dem in seiner Art perfekten und an den Kassen sehr erfolgreichen DER UNSICHTBARE DRITTE war Alfred Hitchcock im Zweifel darüber, was für einen Film er als nächstes drehen sollte. Ihm fiel der Roman „Psycho“ in die Hände, der auf den Taten des Serienmörders Ed Gein basierte. Entgegen den Empfehlungen aller Freunde und Kollegen machte Hitchcock sich daran, mit dieser brutalen Vorlage etwas für ihn ganz Neues zu probieren. Der Film folgt diesem Prozess vom ersten Suchen nach einem neuen Stoff bis zur Premiere und dem Erfolg des fertig gestellten Films. Einer der Qualitäten von HITCHCOCK besteht darin, dass das Publikum auf einer Ebene die Geschichte und ihren Ausgang genau kennt, denn PSYCHO wurde der größte Publikumserfolg des Regisseurs und ist in solch einem Maße Teil des kollektiven Bewusstseins geworden, dass etwa die Dusch-Szene jedem Zuschauer präsent sein durfte. Und so ist es hochinteressant, wenn hier detailliert und dramaturgisch sehr geschickt erzählt wird, wie der Film entstanden ist, wer warum welche künstlerischen Entscheidungen getroffen hat und gegen welche Widerstände Hitchcock sich durchsetzten musste. Zum Teil sind die Darsteller ihren Vorbildern erstaunlich ähnlich wie etwa James D´Arcy, der Anthony Perkins verkörpert, zum Teil überzeugen sie eher dadurch, dass sie deren Temperament und Ausstrahlung projizieren können, wie dies Scarlett Johansson in der Rolle von Janet Leigh gelingt. Auch Anthony Hopkins sieht nicht im Entferntesten wie Alfred Hitchcock aus, doch wie schon in NIXON kann er sich auch hier wieder so in den Charakter einfühlen und dessen Körpersprache nachahmen, dass der Zuschauer ihn schon bald als diese so ikonografische Figur akzeptiert. Dazu trägt auch die sehr gute Maske bei, die ihm ein ganz erstaunlich subtiles Minenspiel ermöglicht. Mit Helen Mirren in der Rolle von Hitchcocks Gattin Alma Reville hat der Regisseur Sacha Gervasi Hopkins eine ihm ebenbürtige Partnerin an die Seite gestellt, denn es wird zwar sehr präzise und unterhaltsam die Entstehungsgeschichte von PSYCHO erzählt, aber dies bildet letztlich eher den Hintergrund für das Drama im Kern des Films, nämlich die komplizierte und künstlerisch sehr fruchtbare Beziehung zwischen Hitchcock und Alma Reville. Der Egomane mit seinen sadistischen und voyeuristischen Tendenzen und die hochintelligente, liebevolle und strapazierfähige Partnerin im Hintergrund werden hier als ein faszinierendes Paar dargestellt, das künstlerisch hocheffizient und nach all den Jahren immer noch in tiefer Liebe verbunden ist, von erstarrter Routine ist hier nichts zu spüren. Mit den grandiosen Darstellern, einem smarten, oft sehr witzigen Drehbuch und einer souveränen Regie bietet HITCHCOCK einen verblüffend neuen Blick auf den Meister des Suspense, der dann schließlich diesem Ehrentitel auch noch einen ganz anderen Sinn gibt.