Geschützter Raum

Filmplakat: Geschützter Raum

FBW-Pressetext

Sara ist eine Unterstützerin in einem selbstorganisierten Refugee-Protest-Camp, gemeinsam mit anderen Unterstützern und Flüchtlingen setzt sie sich für die Rechte von Flüchtlingen ein. Der Kampf für Gleichberechtigung wirkt am Tag aufregend und bei Nacht romantisch. Sara und der Flüchtling Patrick verstehen sich gut und tauschen sich im Schein des Lagerfeuers über ihre politischen Ziele aus. Als die Annährung jedoch in eine sexuelle Nötigung mündet, ist die Gruppe gezwungen, über ihre Ziele, Ideale und den Preis, den sie dafür zahlen möchten, nachzudenken. Zora Rux, Regiestudentin an der dffb in Berlin, gelingt mit ihrem Film eine äußerst kluge und reflektierte Auseinandersetzung mit der tiefmoralischen Diskussion rund um Täter, Opfer, Retter, Schuld und Bestrafung. Zunächst einmal wirkt die Geschichte zwischen Sara und Patrick wie der Ansatz einer Liebesgeschichte, die den falschen Weg einschlägt. Doch nach der Vergewaltigung ändert sich der Erzählstil des Films und aus dem romantischen Bildern wird eine nüchterne und endlose 360-Grad-Kreisfahrt, die Sara aus dem Blick verliert und dafür den Kreis aufmacht für alle Mitglieder der Gruppe. In der Gruppendiskussion wird aus dem Privaten, aus dem Intimen, etwas Öffentliches, etwas Gesellschaftliches, etwas Grundsätzliches. Soll man Patrick bei der Polizei anzeigen oder in der Gruppe anhören? Steht man den Zielen der eigenen Bewegung im Weg, wenn der Vorfall publik wird? Wie würde die Gruppe sich verhalten, wenn nicht ein Flüchtling, sondern ein Unterstützer Sara vergewaltigt hätte? Und müssten nicht für alle die gleichen Rechte gelten? Ist die Bestrafung eines sexuellen Übergriffs durch eine Abschiebung zu vertreten? Würden auch andere Flüchtlinge abgeschoben werden, wenn Patrick angezeigt wird? Was zählt mehr: Gesetz, Gewissen, Loyalität? Der Zuschauer kann sich der Diskussion nicht entziehen, wird selbst zum Teil davon, zum Teil des Problems. Denn GESCHÜTZTER RAUM erlaubt keine Distanz, die Fragen an sich selbst erfolgen automatisch und hallen noch lange nach Ende des Films nach, weil im Film keine Lösung angeboten wird. Das macht GESCHÜTZTER RAUM von Zora Rux zu solch einem wichtigen, hochaktuellen und absolut großartigen Film.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Kurzfilm
Regie:Zora Rux
Darsteller:Maelle Giovanetti; Gorges Ocloo; Thelma Buabeng; Franziska Wulf; Viola Neumann; Sven Taddicken
Drehbuch:Zora Rux; Christian Brecht
Kamera:Agnes Pakozdi
Schnitt:Nina Caspers
Länge:12 Minuten
Verleih:DFFB
Produktion: Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin GmbH (DFFB)
Förderer:dffb

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Hier traut sich eine Regisseurin etwas, und das sowohl stilistisch wie auch inhaltlich! So führt sie den Zuschauer mit dem ersten Teil des Films auf eine falsche Fährte. Er beginnt mit Sequenzen, die man ganz ähnlich schon oft gesehen hat, und die entsprechende Erwartungen (oder Befürchtungen) wecken. Junge Leute, die sich in einem Protestcamp für Flüchtlinge engagieren, werden in Aktion gezeigt. Sie sind sympathische, coole Rebellen, die verfolgt werden. Kamera und Musik stilisieren sie zu Helden, die sich kompromisslos für die Rechte derer einsetzten, denen Unrecht angetan wird. Diese Sequenz mündet in eine Szene, in der sich die Protagonistin und einer der schwarzafrikanischen Flüchtlinge näherkommen. Doch diese Situation kippt und aus freundschaftlichen Gesten entwickelt sich schnell ein sexueller Übergriff, der eindeutig als eine versuchte Vergewaltigung zu werten ist. Die Heldin wird zum Opfer, und der, für dessen Rechte sie kämpft, zum Täter – da wird der Zuschauer grundlegend irritiert, denn dies entspricht überhaupt nicht mehr den am Anfang des Films behaupteten Prämissen. Und dann folgt auch stilistisch ein radikaler Bruch, denn der Rest des Films besteht aus einer einzigen 8 Minuten langen Plansequenz, die mit dem Gesicht der Protagonistin beginnt, dann in einem 360 Grad Schwenk über die Gesichter der Teilnehmer einer Diskussionsrunde gleitet und schließlich wieder mit dem Gesicht des Vergewaltigungsopfers endet. Verhandelt wird hier, ob und wie der Flüchtling für seinen Übergriff bestraft werden soll. Dabei wird ein Dilemma offenbar, denn zum einen soll der Flüchtling vor dem autoritären Staat, zum anderen aber die Frau vor dem Vergewaltiger geschützt werden. Das eine schließt das andere aus und aus diesem Teufelskreis kann es auch in der sich scheinbar endlos weiter drehenden Diskussion keine Lösung geben. Für diese Situation hat Zora Rux mit der Kreisfahrt ein perfektes Stilmittel gefunden, und auch in der Ausführung ist ihr diese Einstellung eindrucksvoll gelungen. Sie trifft genau den Ton, der in solchen Gruppendiskussionen herrscht, sie zeigt nicht immer die Sprechenden, sondern auch, wie die Schweigenden auf das Gesagte reagieren, dazu gelingt es ihr, die Spannung zu halten. Zora Rux hat einen subversiven Film gemacht, der sowohl Denkmuster wie auch Sehgewohnheiten untergräbt.