Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Hier traut sich eine Regisseurin etwas, und das sowohl stilistisch wie auch inhaltlich! So führt sie den Zuschauer mit dem ersten Teil des Films auf eine falsche Fährte. Er beginnt mit Sequenzen, die man ganz ähnlich schon oft gesehen hat, und die entsprechende Erwartungen (oder Befürchtungen) wecken. Junge Leute, die sich in einem Protestcamp für Flüchtlinge engagieren, werden in Aktion gezeigt. Sie sind sympathische, coole Rebellen, die verfolgt werden. Kamera und Musik stilisieren sie zu Helden, die sich kompromisslos für die Rechte derer einsetzten, denen Unrecht angetan wird. Diese Sequenz mündet in eine Szene, in der sich die Protagonistin und einer der schwarzafrikanischen Flüchtlinge näherkommen. Doch diese Situation kippt und aus freundschaftlichen Gesten entwickelt sich schnell ein sexueller Übergriff, der eindeutig als eine versuchte Vergewaltigung zu werten ist. Die Heldin wird zum Opfer, und der, für dessen Rechte sie kämpft, zum Täter – da wird der Zuschauer grundlegend irritiert, denn dies entspricht überhaupt nicht mehr den am Anfang des Films behaupteten Prämissen. Und dann folgt auch stilistisch ein radikaler Bruch, denn der Rest des Films besteht aus einer einzigen 8 Minuten langen Plansequenz, die mit dem Gesicht der Protagonistin beginnt, dann in einem 360 Grad Schwenk über die Gesichter der Teilnehmer einer Diskussionsrunde gleitet und schließlich wieder mit dem Gesicht des Vergewaltigungsopfers endet. Verhandelt wird hier, ob und wie der Flüchtling für seinen Übergriff bestraft werden soll. Dabei wird ein Dilemma offenbar, denn zum einen soll der Flüchtling vor dem autoritären Staat, zum anderen aber die Frau vor dem Vergewaltiger geschützt werden. Das eine schließt das andere aus und aus diesem Teufelskreis kann es auch in der sich scheinbar endlos weiter drehenden Diskussion keine Lösung geben. Für diese Situation hat Zora Rux mit der Kreisfahrt ein perfektes Stilmittel gefunden, und auch in der Ausführung ist ihr diese Einstellung eindrucksvoll gelungen. Sie trifft genau den Ton, der in solchen Gruppendiskussionen herrscht, sie zeigt nicht immer die Sprechenden, sondern auch, wie die Schweigenden auf das Gesagte reagieren, dazu gelingt es ihr, die Spannung zu halten. Zora Rux hat einen subversiven Film gemacht, der sowohl Denkmuster wie auch Sehgewohnheiten untergräbt.