Eine einzelne Tat

Filmplakat: Eine einzelne Tat

FBW-Pressetext

Êzîde Arkan Hussein Khalaf war 15 Jahre alt, als er im Jahr 2020 in der Innenstadt von Celle erstochen wurde. Dem Täter wurde in einem extrem kurzen Prozess kein rassistisches Motiv attestiert, eher soll es sich, so das Urteil, bei dem Opfer um ein „Zufallsopfer“ gehandelt haben, wie auch in einer der ersten Polizei-Pressestatements zu lesen ist. Die Filmemacherin Constanze Wolpers, die ebenfalls aus Celle stammt, geht den Umständen der Tat und des Prozesses in ihrem Kurzdokumentarfilm EINE EINZELNE TAT auf den Grund. Für ihre Recherche tauchte sie in die über 1700 Seiten der polizeilichen Ermittlungsakten ein und fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage, die die Untersuchungen zumindest in ein kritisches Licht rücken. Als dramaturgisches Element verknüpft Wolpers die Umstände der Tat geschickt mit einem Themenbereich, der wie kaum ein anderer den „Stolz“ auf das eigene Land verkörpert: dem Fußball. Denn in dem Moment, als ein junger Mann, ein Geflüchteter, mitten in Deutschland ermordet wurde, sah sich ein Reporter zuhause noch einmal das Finale der WM 1990 an, als Andreas Brehme Deutschland zum Titel schoss. Und als bei der WM 2014 Deutschland erneut gewann und sich auch für den multikulturell besetzten Kader feierte, floh die Familie Khalaf nach Deutschland. In der Hoffnung, eine neue Heimat zu finden. 6 Jahre später war ihr Sohn tot. Der Kurzfilm EINE EINZELNE TAT stellt investigative, essentielle Fragen und gibt diese an die Zuschauenden weiter. Klug, reflexiv und immer noch und immer wieder hochaktuell.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm; Essayfilm
Regie:Constanze Wolpers
Drehbuch:Constanze Wolpers
Kamera:Jonas Eisenschmidt
Schnitt:Jonas Eisenschmidt; Constanze Wolpers
Länge:19 Minuten
Produktion: radpaar films, Constanze Wolpers & Jonas Eisenschmidt GbR
FSK:0
Förderer:BKM; Nordmedia

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ein Mensch stirbt, wird getötet, am 7. April 2020 in Celle. Constanze Wolpers nimmt das zum Anlass einer essayistischen Dokumentation und filmischen Recherche. Denn der Tote ist ein 15-jähriger Êzîde ohne jegliche Beziehung zum deutschen, 29-jährigen Täter.
Der Dokumentarfilm EINE EINZELNE TAT bedient sich geschickt verbundener und verflochtener Stilmittel, ist dabei angenehm wenig suggestiv, aber in seinem freien Stil und freier Form intensiv und gleicht eher einem dokumentarischen Essay über Rassismus in unserer Gesellschaft hinter normalen bürgerlichen Fassaden und hinter der Blindheit deutscher Behörden auf dem rechten Auge. Denn nach dem Studium von 1700 Seiten Gerichtsakten und der Sichtung der tendenziösen Verdichtung auf ein wenigseitiges Strafurteil wird klar, dass es sich bei Êzîde Arkan Hussein Khalaf vielleicht doch nicht um ein ‚Zufallsopfer‘ – so die Ermittlungsbehörden – gehandelt haben könnte, sondern um einen tödlichen Angriff auf einen ethnisch Nichtdeutschen.
Der Film bedient sich dabei verschiedener, sehr abwechslungsreicher stilistischer und inhaltlicher Mittel: filmische Tatrekonstruktion und Impressionen des Tatortes, Bilder der Stadt Celle bis hin zum Tourismusklischee aus Fachwerk, Pferden, Heide. Eine Befragung der Familie des Ermordeten ist – ohne falsche Pathos oder suggestive Tränen – eingebaut, eine Mahnwache wird gezeigt, Gerichtsakten eingeblendet, bis hin zu fiktiven, als solche durch Unschärfen und Straccato-Rhytmisierung kenntlich gemachten Bildern. Das macht die Form zwar wild, manchmal experimentell, aber immer dem jeweiligen Themenausschnitt angemessen.
Dabei kreist Wolpers vor allem um die politische Befindlichkeit von Polizei und Justiz, die die Möglichkeit eines rassistischen Motivs ausschließen wollen. Das ist deshalb so skandalös, weil auch der objektive Teil der Recherche das rassistische Motiv des Täters klar durchscheinen lässt: Aus den Akten verschwindet bei der Kondensierung bis zum Strafurteil zunehmend das vom Täter dauernd benutzte Wort „Kanake“ und die Polizeisprecherin benutzt von Anfang an das Wort „Zufallsopfer“, das sich – auch von der Presse ungeprüft übernommen – immer weiter verbreitet.
EINE EINZELNE TAT ist ein Film, der ohne empörte Aufgeregtheit diesen Skandal thematisiert und damit im Titel selbst bereits den Zynismus trägt, dass es sich schon allein deshalb um keine „einzelne Tat“ handelt, weil die Gesellschaft selbst den Rassismus in sich trägt, weil eine rassistische Gewalttat eine wenn nicht eine subtil gutheißende, so jedenfalls doch eine nationalistisch, fremdenfeindliche Grundstimmung in der gesellschaftlichen Atmosphäre braucht.
Gelungen erschien der Jury dabei auch das Einweben der Fußballmetapher, weil sich hier Gemeinschaft und Multikulturalität, sowie Patriotismus und Nationalismus berühren – eine Gemengelage, die zum vielfältigen Miteinander oder zu gewalttätiger Gegnerschaft führen kann – und damit zur Frage, für wen Deutschland als Heimat möglich ist.

So ist EINE EINZELNE TAT ein ‚Betroffenheitsfilm‘ im besten Sinne. Dass Constanze Wolpers das nicht platt, sondern filmisch und künstlerisch, ja sogar intellektuell anspruchsvoll, aber eben nicht billig suggestiv erzählt, war der Jury im einstimmigen Votum das Prädikat BESONDERS WERTVOLL wert.