Der Versuch zu leben

Kurzbeschreibung

Dokumentation der Alltagsereignisse in der Unfallstation eines Berliner Krankenhauses, in die vornehmlich Alkoholiker und Drogenabhängige eingeliefert werden. Interviews mit Patienten, Pflägepersonal und Ärzten.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Johann Feindt
Drehbuch:Johann Feindt
Kamera:Johann Feindt; Karl Siebig
Schnitt:Johann Feindt
Musik:Richard Wester
Länge:92 Minuten
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Gezeigt wird der Alltag der Unfallstation des Urban- Krankenhauses in Berlin-Kreuzberg: Einlieferung, Versorgung ärztliche und psychologische Hilfe. Ursachen: Unfälle, Selbstmordversuche, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, unerträgliche Vereinsamung. Dienst am Menschen wird gezeigt, harte Arbeit rund um die Uhr, geleistet von Ärzten, Helfern, Schwestern. Versuche auch, einzelnen ’"Fällen’’ etwas weiter nachzugehen. Wie lässt sich diese Arbeit ’’verkraften?’’ Ist mehr als Erste Hilfe, ist menschliche Anteilnahme möglich?

Es ist der Film eines engagierten Arztes und zugleich Filmemachers, der eine sonst so gut wie tabuisierte Zone unserer hochsozialisierten Gesellschaft anschaulich dokumentiert: menschliches Leiden, menschliches Unglück, tiefe Verzweiflung, Not, Sich fallenlassen mit der oft uneingestandenen Hoffnung, dass andere da sein werden, die helfen, mit Verständnis, Mitleid, ärztlicher Kunst, oder einfach so.

Die außergewöhnliche Leistung dieses Films liegt darin, dass er nicht nur Vorgänge, nicht nur ’’Fälle’’ und Unfälle aller Art aneinanderreiht und summiert, sondern immer wieder auch der Frage nachgeht: Wie ist es zum Notfall, zur Einlieferung gekommen? Wo schwelt hinter der konkreten Unfallsituation das chronische Leiden, die tiefere seelische, die soziale Not? Über den bloßen Dokumentarbericht hinaus wird auf diese Weise ein weitverzweigtes soziales Umfeld angedeutet. Es ist typisch für das Zentrum einer jeden Großstadt.

Eine gewisse Monotonie liegt in der Wiederholung vergleichbarer Notfallsituationen ( Alkoholismus z.B.) und in der Art, das Personal der Unfallstation auf die alltägliche Zumutungen reagiert. Aber die dabei naheliegende Gefahr filmischer Spannungslosigkeit wurde geschickt aufgefangen durch die hervorragende Beherrschung der gestalterischen Mittel (Regie, Kamera. Kommentar, Montage, Musik). Keine Situation wird unnötig ausgeweitet. Die einzelnen ’’Fall’’- Sequenzen verraten Sinn für Ökonomie, Balance, Abwechslung. Zahlreiche Statements überzeugen durch konkrete Sprachkraft und eine frappierende Fähigkeit, die anstehenden Probleme wirklich ’’auf den Punkt’’ zu bringen, wo Banales zum Gleichnis für allgemeinere Zusammenhänge wird. Wohltuend ist dabei die Behutsamkeit bei der unverhüllten Darstellung menschlicher Not. Distanz und Objektivierungswille einerseits, das Engagement der Darstellung andererseits Verbinden sich vorteilhaft und bewirken im Betrachter durchgehende Aufmerksamkeit und nachwirkende Betroffenheit. Kaum je wurde bisher menschliche Vereinsamung, Lebensmüdigkeit und Verzweiflung mit so einfachen Mitteln und in einer auch filmästhetischen so überzeugenden Form dargestellt.