Filmplakat: Compartments

FBW-Pressetext

Netta hat ihren Vater immer bewundert. Er war so belesen, klug und interessiert. Vor allem an der Geschichte Israels und der Geschichte der Familie, die nicht immer schön war. So hat Netta schon als Kind viel über den Holocaust und die Grausamkeit der deutschen Nazis gegenüber der jüdischen Bevölkerung erfahren. Als Netta dem Vater eines Tages gesteht, sie habe sich in einen Deutschen verliebt und sei auf dem Weg nach Berlin, um dort zu leben, ist der Vater maßlos enttäuscht und wütend. Für ihn ist Deutschland das Land der Täter. Für Netta jedoch ist Deutschland der Ort ihrer Zukunft. Sie möchte sich nicht länger als Opfer definieren. Doch bleiben die Schatten der Vergangenheit nicht immer ein Teil von ihr? Und wenn man in Schubladen denkt – definiert man sich dann auch über Schubladen? Mit diesen Fragen setzen sich die Filmemacher Daniella Koffler und Uli Seis in ihrem 15-minütigen autobiografisch geprägten Animationsfilm COMPARTMENTS auseinander. Doch anstatt des bekannten Symbols der Schublade bedienen sich die Künstler eines anderen Bildes: das des Setzkastens. Jeder der liebevoll gezeichneten und animierten Figuren trägt einen solchen Setzkasten vor der Brust. Und jeder einzelne Bestandteil sieht anders aus. Da gibt es Stadtwappen, Tiere, Menschen, Pflanzen, Orte. Und eben auch Symbole. Konsequent setzen Koffler und Seis diese Idee um, erlauben so dem Zuschauer einen Einblick in die Befindlichkeit der Figuren und behandeln auf sensible Weise die Themen Glaube, Familie, Vorurteile, das Finden der Identität und das Denken in Schubladen. Ein berührender Kurzfilm, der mit einfachen Mitteln eine ganz große Geschichte erzählt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Kurzfilm
Regie:Daniella Koffler; Uli Seis
Drehbuch:Daniella Koffler
Musik:Eitan Shefer
Länge:15 Minuten
Verleih:interfilm Berlin Short Film Sales & Distribution
Produktion: Ulrich Seis Mediengestaltung Ulrich Seis
Förderer:MDM; Kulturstiftung Sachsen; DEFA Stiftung; SLM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

In ihrem animierten Kurzfilm haben Daniella Kofler und Uli Seis ein zugleich einfaches, originelles und sehr effektives Stilmittel gefunden, um die Befindlichkeiten ihrer Protagonisten deutlich zu machen. Die gezeichneten und eher minimalistisch animierten Figuren tragen Setzkästen auf ihrer Brust, in denen jeweils Dinge einsortiert sind, die für sie eine zentrale Bedeutung haben und zeigen, welche Erinnerungen ihre Sicht auf die Welt prägen. Netta ist eine junge Frau aus Israel, deren Vater der Sohn von Holocaust-Überlebenden ist, und seiner Tochter eine Abscheu vor den Deutschen eingepflanzt ist. So trägt sie in ihrem Setzkasten in dem zentralen Fach (auf englisch „compartment“) über dem Herz den Judenstern. Doch als sie sich in einen Deutschen verliebt und mit ihm nach Berlin zieht (er trägt den Fernsehturm über dem Herzen) wandert bei ihr der Judenstern in ein kleineres Fach, während ihr Vater in Israel entsetzt über ihre Entscheidung ist und den Kontakt zu ihr abbricht. Wie die Protagonisten mit dieser Krise umgehen, wird dadurch verdeutlicht, dass die symbolischen Gegenstände in den Kästen in verschiedene Fächer wechseln. Damit ist den Filmemachern eine poetische Beschreibung ihrer Seelenzustände gelungen. Netta ist glücklich in Berlin, entdeckt die idyllischen Orte der Stadt (wie einen sonnenbeschienenen Flohmarkt), wird aber durch die rassistische Bemerkung von einem Imbissverkäufer auch wieder daran erinnert, was die Deutschen den Juden angetan haben. Bei einer Fahrt mit der U-Bahn über den Wittenbergplatz, auf dem damals die Juden Berlins zur Deportation in die Vernichtungslager zusammengetrieben wurden, mischen sich vor ihrem inneren Auge historische Bilder von diesem Verbrechen mit heutigen Stadtbildern. Eine Versöhnung mit ihrem Vater wird schließlich wieder durch ein Objekt möglich, das die Liebe zwischen Vater und Tochter symbolisiert und in ihrem Setzkasten schließlich die zentrale Stelle einnimmt. COMPARTMENTS ist ein zärtlicher, komplexer sowie sehr menschlicher Film und den beiden Filmemachern, sie aus Jerusalem und er aus Leipzig, ist damit eine künstlerisch überzeugende Einheit von Form und Inhalt gelungen.