Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Constantin Müller, der für Regie, Drehbuch und Schnitt verantwortlich zeichnet, realisierte seinen vierminütigen experimentellen Dokumentarfilm an der Hochschule Mainz. Beim gewählten Thema, das bei stetig wachsendem Bevölkerungsanteil von alten Menschen für uns immer wichtiger wird, ist vielleicht ein TV-taugliches Feature mit Hintergrundberichten, Expertenmeinungen, Tabellen und düsteren Prognosen zu erwarten. Diese am rein Faktischen orientierte Konvention der heute üblichen medialen Aufbereitung unterläuft das kurze, prägnante Filmessay jedoch auf verblüffend einfache Weise. Ein theaterhaft inszenierter Dialog zwischen dem Arzt Alois Alzheimer und seiner Patientin Auguste Deter, die er ab 1901 behandelte, basiert auf der 1996 wiedergefundenen Krankenakte, in der die verwirrte Frau davon spricht, dass sie „sich selbst verloren“ habe. Diese historisierende filmische Rekonstruktion der ersten Diagnose jener Demenzerkrankung, die seitdem den Namen des protokollierenden Psychiaters trägt, wechselt sich ab mit Bildern, in denen der Filmemacher als Bild-Effekte destabilisierende Überblendungen und Wischeffekte einsetzt. Mit dem Aufscheinen von Erinnerungsstücken aus Auguste Deters Jugend macht er assoziativ letzte Fragmente einer Lebensidentität sichtbar, die gerade dabei ist, sich für immer aufzulösen. So gelingt es, beide Momente in einem fein konstruierten Spannungsbogen zusammenzuschließen: die Außen-Perspektive des realen medizinisch-historischen Hintergrunds und die introspektive Dimension des sich auflösenden Erinnerungsvermögens, das zugleich ein Selbst-Verlust ist. Das in der Kürze der Zeit umzusetzen, ist ein kleines Meisterstück. Andererseits bleiben dem uninformierten Zuschauer wegen der assoziativen Struktur nach Ansicht der Jury die Zusammenhänge doch weitgehend unklar, so dass am Schluss eine Texttafel Aufklärung geben muss: in den Augen der Jury ein kleiner Bruch im künstlerischen Gesamtgefüge.