Jury-Begründung
Prädikat wertvoll
Psychoanalytische Sitzungen sind ein festes und oft verwendetes Stilmittel im westlichen Kino. Dabei sind sie filmisch nicht einmal besonders ergiebig: zwei Menschen in einem Raum, meist liegt der eine und der andere sitzt, der eine redet viel und der andere wenig. Aber ob im Drama oder in der Komödie, im Thriller oder der historischen Biografie – immer wieder werden in Spielfilmen Variationen dieser Ausgangssituation inszeniert: Sei es beim Stadtneurotiker Woody Allen oder beim Meister der Spannung Alfred Hitchcock. Sequenzen von solchen Therapiesitzungen, deren Menge und Vielfalt erstaunt, hat Harald Schleicher im von ihm inzwischen perfektionierten Compositing-Verfahren montiert. Da treffen thematisch ähnliche Einstellungen aus ganz unterschiedlichen Epochen, Genres und Stile aufeinander. Montgomery Clift ist in der Rolle von Sigmund Freud persönlich zu sehen und Marlon Brando soll den „Donjuanismus“ eines leibhaftigen Don Juans kurieren. Oft antwortet ein Patient auf eine Frage eines Therapeuten aus einem ganz anders gestalteten Werk – schwarzweiß trifft im gleichen Filmrahmen auf Technicolor und Standardsätze wie „Time is up“ werden rhythmisch aneinander montiert. Schleicher zeigt, wie beständig viele dramaturgische Konventionen und Stereotypen eingesetzt werden, und so ist sein Film auch eine unterhaltsame Lektion im Sehen. Ein zusätzlicher Reiz besteht in der Freude des Wiedererkennens und im unwillkürlich aufkommenden Ehrgeiz, möglichst viele Sequenzen genau erkennen, benennen und einordnen zu können. Schleichers Methode des Found-Footage-Film ist nicht nur vom gefundenen Material abhängig, sondern auch von dessen Wiedererkennungswert. Für einen Zuschauer ohne eigenen Fundus an aus Filmen erinnerten Bildern (den man in den westlichen Industrieländern allerdings kaum finden dürfte) dürfte YOU FREUD – ME JANE völlig unverständlich bleiben. Zumindest auf der Tonebene arbeitet Schleicher nicht nur mit von anderen geschaffenem Material: Musik und Toneffekte wurden eigens für den Film eingespielt und sind zu einem nicht geringen Teil mit dafür verantwortlich, dass die Montage so nahtlos wirkt. Die elegant fließenden Übergänge erreicht Schleicher auch durch die einfallsreiche Arbeit am digitalen Schneidetisch. Durch sie kommentieren die einzelnen Filmsequenzen einander und zwischen ihnen entstehen neue Zusammenhänge, Serien, Reihungen und Kontraste. Auch das Finden ist eine Kunst.