Wir Wunderkinder
Jurybegründung
Der Bewertungsausschuss würdigt damit den Versuch, ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte in kabarettistisch -glossierender Form darzustellen. Die locker gefügte Szenenfolge lässt zwei Komponenten erkennen: einmal die „Montage“ zeitgeschichtlicher Vorgänge und zum anderen die Abhandlung eines privaten Schicksals. Diese zwei Wirklichkeitsebenen werden einander in Bänkelsängermanier gegenübergestellt. Daraus ergibt sich eine Bilderbogengeschichte im Kostüm der Moritat. Die kabarettistische Ironie vermag der geschichtlichen Realität zwar manchen witzigen Effekt abzugewinnen, doch gleitet sie bisweilen allzu deutlich in die überzeichnete Karikatur ab. Das wirkt sich in gewisser Weise nachteilig auf die Darstellung der national-sozialistischen Phänomene aus. Diese finden ihre Verkörperung in der Figur des von Anfang an rabaukenhaften Herrn Tiches, der es zu einer hohen Funktion in der braunen Diktatur bringt. Ihm ist als eine Art Gegenspieler sein ehemaliger Klassenkamerad Dr. Böckel gegenübergestellt. Dieser wiederum symbolisiert den „anständigen“ Deutschen. Während nun aber die private Lebenssphäre Dr. Böckels völlig realistisch dargestellt wird, sind die Akteure und Statisten der national-sozialistischen Herrschaft so stark karikiert, dass sie keine leibhaftigen Gegenspieler mehr abgeben, sondern Popanze und Gespenster, die es wenig glaubhaft erscheinen lassen, dass sie im Grunde ja die verwerflichen Statthalter und Funktionäre des Verbrechens sind. Es wäre nach Auffassung des Bewertungsausschusses dem Thema dienlicher gewesen, wenn mit der gleichen Gewichtigkeit, mit der die Szenen im Bereich des privaten Schicksals geprägt sind, auch die historische Kulisse gezeichnet worden wäre. Offenbar trägt die kabarettistische Überzeichnung der einen Seite daran Schuld, dass plötzlich das vielberufene, vielverleumdete sogenannte Wirtschaftswunder für das grausige politische Versagen des deutschen Volkes herhalten muss. (Der die Katastrophe überlebende ehemalige Obernazi Tiches avanciert zum bundesrepublikanischen Generaldirektor, der bereits wie der Drohungen aussprechen darf, die sich gegen die Existenz des Dr. Böckel richten.) Hier enthält der Film ganz offensichtlich einen schlimmen Denkfehler, ja einen Kurzschluss, in dem er nämlich glauben machen möchte, dass der Typus des überlebenden Nazis und der Typus des Wirtschaftswunder-Kapitäns miteinander identisch seien. Zwar bricht sich Tiches als der ewige Konjunkturist durch einen Sturz in den Fahrstuhlschacht den Hals, aber der Film lässt die Möglichkeit offen, dass der stupide Konjunkturist für die demokratische Gesellschaftsordnung schlechthin bestimmend bleibt. Der deus-ex-machina-Schluss des Films ist zwar als kabarettistische Pointe gerade noch erträglich, stellt aber eine gefährliche posthume Verharmlosung des Nationalsozialismus dar, wie der Filmschluss dann überhaupt erkennen lässt, das eine geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unterbleibt und dass der Film nicht einmal dazu herausfordern möchte. Die instinktlose Begräbnisszene erweckt den Eindruck, als gebe es eine Solidarität der Konjunkturisten unter dem Segen der politisch bestimmenden Kreise von heute. Ist das Wirtschaftswunder (als die Summe unserer Anstrengungen) wirklich eine Spätblüte des Nationalsozialismus?Wenn der film trotz der hier aufgezeigten stilistischen und formalen Mängel das Prädikat wertvoll erhält, so deshalb, weil er in formaler Hinsicht eine geschlossene Leistung darstellt, wie sie historisierende Filme dieser Art selten erreichen. Der Film besitzt Witz und manche Treffsicherheit bei der Glossierung zeitgeschichtlicher Erscheinungen, und er bringt diesen Witz auch in der Fotografie zum Ausdruck. Die Fäden der Handlung sind präzis geknüpft, und die Regie stellt ein gediegenes Ensemblespiel auf die Beine, das eine Fülle beachtlicher schauspielerischer Einzelleistungen enthält. Hier verdienen vor allem die Leistungen von Robert Graf, Johanna von Koczian, Elisabeth Flickenschildt und Hansjörg Felmy hervorgehoben zu werden. Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen hinein durchdacht und gut getroffen. Auch vom Schnitt her beweist der Film seinen kabarettistischen Pfiff und eine gediegene dramaturgische Durchformung.
Filminfos
Gattung: | Komödie; Spielfilm |
---|---|
Regie: | Kurt Hoffmann |
Darsteller: | Hansjörg Felmy; Robert Graf; Johanna von Koczian |
Drehbuch: | Günter Neumann |
Buchvorlage: | Hugo Hartung |
Länge: | 108 Minuten |
Kinostart: | 03.05.1959 |
Verleih: | Constantin Film Verleih GmbH |
Jury-Begründung
Der Bewertungsausschuss würdigt damit den Versuch, ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte in kabarettistisch -glossierender Form darzustellen. Die locker gefügte Szenenfolge lässt zwei Komponenten erkennen: einmal die „Montage“ zeitgeschichtlicher Vorgänge und zum anderen die Abhandlung eines privaten Schicksals. Diese zwei Wirklichkeitsebenen werden einander in Bänkelsängermanier gegenübergestellt. Daraus ergibt sich eine Bilderbogengeschichte im Kostüm der Moritat. Die kabarettistische Ironie vermag der geschichtlichen Realität zwar manchen witzigen Effekt abzugewinnen, doch gleitet sie bisweilen allzu deutlich in die überzeichnete Karikatur ab. Das wirkt sich in gewisser Weise nachteilig auf die Darstellung der national-sozialistischen Phänomene aus. Diese finden ihre Verkörperung in der Figur des von Anfang an rabaukenhaften Herrn Tiches, der es zu einer hohen Funktion in der braunen Diktatur bringt. Ihm ist als eine Art Gegenspieler sein ehemaliger Klassenkamerad Dr. Böckel gegenübergestellt. Dieser wiederum symbolisiert den „anständigen“ Deutschen. Während nun aber die private Lebenssphäre Dr. Böckels völlig realistisch dargestellt wird, sind die Akteure und Statisten der national-sozialistischen Herrschaft so stark karikiert, dass sie keine leibhaftigen Gegenspieler mehr abgeben, sondern Popanze und Gespenster, die es wenig glaubhaft erscheinen lassen, dass sie im Grunde ja die verwerflichen Statthalter und Funktionäre des Verbrechens sind. Es wäre nach Auffassung des Bewertungsausschusses dem Thema dienlicher gewesen, wenn mit der gleichen Gewichtigkeit, mit der die Szenen im Bereich des privaten Schicksals geprägt sind, auch die historische Kulisse gezeichnet worden wäre. Offenbar trägt die kabarettistische Überzeichnung der einen Seite daran Schuld, dass plötzlich das vielberufene, vielverleumdete sogenannte Wirtschaftswunder für das grausige politische Versagen des deutschen Volkes herhalten muss. (Der die Katastrophe überlebende ehemalige Obernazi Tiches avanciert zum bundesrepublikanischen Generaldirektor, der bereits wie der Drohungen aussprechen darf, die sich gegen die Existenz des Dr. Böckel richten.) Hier enthält der Film ganz offensichtlich einen schlimmen Denkfehler, ja einen Kurzschluss, in dem er nämlich glauben machen möchte, dass der Typus des überlebenden Nazis und der Typus des Wirtschaftswunder-Kapitäns miteinander identisch seien. Zwar bricht sich Tiches als der ewige Konjunkturist durch einen Sturz in den Fahrstuhlschacht den Hals, aber der Film lässt die Möglichkeit offen, dass der stupide Konjunkturist für die demokratische Gesellschaftsordnung schlechthin bestimmend bleibt. Der deus-ex-machina-Schluss des Films ist zwar als kabarettistische Pointe gerade noch erträglich, stellt aber eine gefährliche posthume Verharmlosung des Nationalsozialismus dar, wie der Filmschluss dann überhaupt erkennen lässt, das eine geistige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unterbleibt und dass der Film nicht einmal dazu herausfordern möchte. Die instinktlose Begräbnisszene erweckt den Eindruck, als gebe es eine Solidarität der Konjunkturisten unter dem Segen der politisch bestimmenden Kreise von heute. Ist das Wirtschaftswunder (als die Summe unserer Anstrengungen) wirklich eine Spätblüte des Nationalsozialismus?Wenn der film trotz der hier aufgezeigten stilistischen und formalen Mängel das Prädikat wertvoll erhält, so deshalb, weil er in formaler Hinsicht eine geschlossene Leistung darstellt, wie sie historisierende Filme dieser Art selten erreichen. Der Film besitzt Witz und manche Treffsicherheit bei der Glossierung zeitgeschichtlicher Erscheinungen, und er bringt diesen Witz auch in der Fotografie zum Ausdruck. Die Fäden der Handlung sind präzis geknüpft, und die Regie stellt ein gediegenes Ensemblespiel auf die Beine, das eine Fülle beachtlicher schauspielerischer Einzelleistungen enthält. Hier verdienen vor allem die Leistungen von Robert Graf, Johanna von Koczian, Elisabeth Flickenschildt und Hansjörg Felmy hervorgehoben zu werden. Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen hinein durchdacht und gut getroffen. Auch vom Schnitt her beweist der Film seinen kabarettistischen Pfiff und eine gediegene dramaturgische Durchformung.