Filmplakat: Wenn der Nebel kommt

FBW-Pressetext

José Luis verkauft Getränke am Strand von Tijuana in Mexiko. Er hat sich dieses Geschäft und eine Existenz selbst aufgebaut. Doch leben will er hier nicht. Denn an dem Ort, wo sein Getränkestand aufgebaut ist, sind es nur etwa 300 Meter bis zur Grenze in die USA. Da will José Luis hin. Achtmal hat er es schon versucht. Immer wieder wurde er von Grenzern aufgegriffen, immer wieder zurück nach Mexiko geschickt. Jetzt muss es einfach klappen. Er wird die Mauer überwinden, die vom Strand bis ins Meer hineinreicht. Doch er muss warten. Bis zwischen Nacht und frühem Morgen der dichte und undurchdringliche Nebel kommt, der alles verdeckt, was besser nicht gesehen werden soll. José Luis ist nur einer der Menschen, die die Filmemacherin Laurentia Genske in ihrem experimentellen Dokumentarfilm WENN DER NEBEL KOMMT porträtiert. Dabei greift Genske auf einen kongenialen Kunstgriff zurück: Sie erzählt ihre Geschichte in Standfotos, während auf der Tonebene die ganze Atmosphäre des Ortes, an dem die Bilder entstanden sind, fortgeführt wird. So scheinen die Bilder die Menschen an diesem Ort zum Leben zu erwecken. Gleichzeitig lässt WENN DER NEBEL KOMMT den Zuschauenden die Zeit, sich wirklich auf alle Details in den Bildern zu konzentrieren, die Gesichter zu studieren und sie mit dem Gehörten in Verbindung zu bringen. Genske lässt so Nähe und Distanz gleichermaßen zu und gibt so einen unfassbar tiefgehenden und eindringlichen Einblick in die Situation der Menschen, die jede Gefahr auf sich nehmen würden, nur um diese eine Grenze zu überwinden, die sich von einem, so nehmen sie an, besseren Leben trennt. Ein wichtiger filmischer Beitrag zu einer aktuellen, gesellschaftlich relevanten Diskussion.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Im Gegensatz zum Bewegtfilm schaffen Fotografien immer eine Distanz. Zum einen frieren sie einen Moment ein, zum anderen wirken sie mehr „gemacht“ als Filmaufnahmen. Bei diesen kann man sich in der Illusion einer geschaffenen Realität verlieren, bei Fotos ist dies unmöglich. Laurentia Genske nutzt diesen Effekt, wenn sie in ihrem experimentellen Kurzfilm WENN DER NEBEL KOMMT Fotografien aneinanderreiht, um mit ihnen von vier Menschen zu erzählen, die am Strand von Tijuana in Mexiko leben und arbeiten. Auf der Tonebene hören wir sie selber ihre Geschichten erzählen, und immer dann, wenn es, etwa von einem Fluchtversuch des Mexikaners José Luis, keine Bilder gibt, greift Laurentia auf das Bildmedium des Animationsfilms zurück. José Luis hat schon achtmal versucht, die Grenze zu den USA zu übertreten. Laurentia Genske trifft ihn am Strand von Tijuana, wo er Getränke verkauft. Ihr zweiter Protagonist Gustavo kommt aus Brasilien und arbeitet am Strand als Rettungsschwimmer. Und hier warten auch Isna und Miche aus Haiti darauf, dass die dichten Nebel wieder den Strand einhüllen, denn nur dann haben sie die Chance, unentdeckt und illegal in die USA einzuwandern. Die Geschichten, die diese Menschen von Fluchtversuchen, Verhaftungen und alltäglichen Tötungen erzählen, sind schockierend. Aber auch wenn diese in den minimalistisch animierten Spielsequenzen inszeniert werden, entsteht durch ihre Stilisierung eine Distanz, durch die die Menschen ihre Würde behalten und ihre Lebenswelten nie banal wirken. Laurentia Genske verlässt mit ihrer Kamera nie den Strand – und so wird ausgerechnet Tijuana, eine der weltweit gefährlichsten Städte, zu einem Badeidyll. Auch diese Rahmung ist eine kluge Entscheidung der Künstlerin, denn so vermeidet sie jeden Anflug von „Armuts-Pornografie“ und beschwört stattdessen eine Ahnung vom „American Dream“ herauf. Auf der Soundebene wird zwar mit Umweltgeräuschen wie dem Rotieren von Helikopterflügeln gearbeitet, aber auf Musik verzichtet. Auch dadurch wird die seltsame, sowohl realistische wie auch stilisierte Wirkung des Filme geschaffen. So statisch wie die Bilder ist auch die Lebenssituation der Menschen, die wie in einer Zwischenwelt verharren. Sie wollen fort, aber müssen warten, bis der Nebel kommt. Die Jury der FBW erteilt dem Kurzfilm sehr gerne das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.