Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Im Gegensatz zum Bewegtfilm schaffen Fotografien immer eine Distanz. Zum einen frieren sie einen Moment ein, zum anderen wirken sie mehr „gemacht“ als Filmaufnahmen. Bei diesen kann man sich in der Illusion einer geschaffenen Realität verlieren, bei Fotos ist dies unmöglich. Laurentia Genske nutzt diesen Effekt, wenn sie in ihrem experimentellen Kurzfilm WENN DER NEBEL KOMMT Fotografien aneinanderreiht, um mit ihnen von vier Menschen zu erzählen, die am Strand von Tijuana in Mexiko leben und arbeiten. Auf der Tonebene hören wir sie selber ihre Geschichten erzählen, und immer dann, wenn es, etwa von einem Fluchtversuch des Mexikaners José Luis, keine Bilder gibt, greift Laurentia auf das Bildmedium des Animationsfilms zurück. José Luis hat schon achtmal versucht, die Grenze zu den USA zu übertreten. Laurentia Genske trifft ihn am Strand von Tijuana, wo er Getränke verkauft. Ihr zweiter Protagonist Gustavo kommt aus Brasilien und arbeitet am Strand als Rettungsschwimmer. Und hier warten auch Isna und Miche aus Haiti darauf, dass die dichten Nebel wieder den Strand einhüllen, denn nur dann haben sie die Chance, unentdeckt und illegal in die USA einzuwandern. Die Geschichten, die diese Menschen von Fluchtversuchen, Verhaftungen und alltäglichen Tötungen erzählen, sind schockierend. Aber auch wenn diese in den minimalistisch animierten Spielsequenzen inszeniert werden, entsteht durch ihre Stilisierung eine Distanz, durch die die Menschen ihre Würde behalten und ihre Lebenswelten nie banal wirken. Laurentia Genske verlässt mit ihrer Kamera nie den Strand – und so wird ausgerechnet Tijuana, eine der weltweit gefährlichsten Städte, zu einem Badeidyll. Auch diese Rahmung ist eine kluge Entscheidung der Künstlerin, denn so vermeidet sie jeden Anflug von „Armuts-Pornografie“ und beschwört stattdessen eine Ahnung vom „American Dream“ herauf. Auf der Soundebene wird zwar mit Umweltgeräuschen wie dem Rotieren von Helikopterflügeln gearbeitet, aber auf Musik verzichtet. Auch dadurch wird die seltsame, sowohl realistische wie auch stilisierte Wirkung des Filme geschaffen. So statisch wie die Bilder ist auch die Lebenssituation der Menschen, die wie in einer Zwischenwelt verharren. Sie wollen fort, aber müssen warten, bis der Nebel kommt. Die Jury der FBW erteilt dem Kurzfilm sehr gerne das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.