WATCHING YOU— Die Welt von Palantir und Alex Karp
FBW-Pressetext
Der Dokumentarfilm von Klaus Stern versucht sich Alex Karp, dem Gründer der weltweit agierenden Datenanalyse-Firma Palantir, anzunähern. Ein bedrückend aktuelles und augenöffnendes dokumentarisches Glanzstück von Film.Alex Karp studierte in Stanford Rechtswissenschaften und promovierte 2002 in Frankfurt am Main in Sozialwissenschaften und Philosophie mit magna cum laude. Ein Jahr später gründete er zusammen mit seinem Studienfreund Peter Thiel und weiteren Investoren die Firma Palantir Technologies. Die von Palantir entwickelte Datenanalyse-Software wurde unter anderem vom US-Geheimdienst zur Anti-Terror-Analyse eingesetzt, auch die Polizei in NRW und Hessen setzten die Software „Gotham“ zeitweise ein. Doch genauso rätselhaft wie die Geschäftszahlen und Machenschaften des Unternehmens, das im Jahr 2020 an die Börse ging, erscheint auch Alex Karp selbst, den der Kameramann des Films, Thomas Giefer, seit den 1990er Jahren persönlich kennt. Doch die Versuche, Karp für ein aktuelles filmisches Porträt selbst vor die Kamera zu holen, scheinen immer wieder zu scheitern.
Der Film von Klaus Stern beginnt mit einer Reise in die Vergangenheit. Wir sehen Alex Karp in den 1990er Jahren als jungen Mann durch New York schlendern, für die Kamera von Thomas Giefer posieren, sich selbst inszenieren. Doch ein Umschnitt in die Gegenwart macht deutlich: Die Welt von Alex Karp ist nun eine andere. Die rätselhafte Aura aber, die den schweigsamen Mann umgibt, ist geblieben. Immer wieder wird Klaus Stern in seinem Dokumentarfilm WATCHING YOU – DIE WELT VON PALANTIR UND ALEX KARP versuchen, den „Titelhelden“ persönlich vor die Kamera zu bekommen. Doch immer wieder entgleitet er ihm – und wird damit zum Sinnbild seines eigenen Konzerns, der die Wirtschaftsbranche vor Rätsel stellt. Wie konnte Palantir so erfolgreich werden? In welche Vorgänge, in welche Verstrickungen und in welche Skandale ist die Firma involviert? Wird die Software „Gotham“ für das Töten per Drohnenbefehl eingesetzt? Und wer kontrolliert überhaupt diejenigen, die dies alles entwickeln? Klaus Stern nutzt seinen Film, um hinter die Kulissen dieses riesigen Konzerns zu blicken – und interviewt unter anderem einen Menschen, der nicht mehr für Palantir tätig ist. In den Gesprächen mit diesem „Whistleblower“ wird deutlich, wie vereinnahmend ein solcher Großkonzern sein kann. Die Menschen im inneren Kreis werden zu einem Teil einer „Familie“. Sie erhalten alle Vorteile, die man haben kann. Doch sind sie einmal draußen, werden sie gezwungen, für immer über das zu schweigen, was sie in der Firma erfahren haben. Und so eröffnet WATCHING YOU auf mehreren Ebenen den Blick auf interessante, aber auch schockierende und beunruhigende Wahrheiten: Den Kontrollwahn großer Konzerne in Bezug auf ihre Mitarbeitenden, der sektenähnliche Züge annimmt – und die allgegenwärtige, krakenhafte Präsenz großer Tech-Unternehmen in unser aller Leben. Daten werden abgegriffen, User werden überwacht. Und die Verlockung, der viele schon erlegen sind, die Vorteile einer solchen gläsernen Überwachung zu nutzen, verhindert das kritische Hinterfragen – bis es vielleicht zu spät ist. Der elektronisch-basslastige Score von Michael Kadelbach passt zu der permanenten bedrohlichen Atmosphäre des Films, der durch die aktuelle Weltlage an Relevanz nicht zu übertreffen ist.
Filminfos
Gattung: | Dokumentarfilm |
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Regie: | Klaus Stern |
Drehbuch: | Klaus Stern |
Kamera: | Thomas Giefer |
Schnitt: | Friederike Anders |
Musik: | Michael Kadelbach |
Weblinks: | kinofans.com; |
Länge: | 100 Minuten |
Kinostart: | 06.06.2024 |
Verleih: | Real Fiction |
Produktion: | sternfilm Klaus Stern |
FSK: | 6 |
Förderer: | BKM; DFFF; HessenFilm und Medien |
Jury-Begründung
Der Titel dieses investigativen Dokumentarfilms lässt bereits vermuten, worin das Geschäft von Palantir besteht: Das Unternehmen ist der wichtigste Big-Data-Player auf der Welt, entwickelt Software für die Analyse großer Datenmengen für effektive Überwachungsmaßnahmen und bietet diese den Geheimdienstabteilungen der US-Administration sowie Regierungen auf der ganzen Welt für die Verbrechensaufklärung und militärische Zwecke an. Alex Carp ist der CEO des Konzerns, den er 2003 im Silicon Valley zusammen mit Peter Thiel und anderen gründete. Thiel, der zuvor den Bezahldienst PayPal aufgebaut hatte, war seitdem häufiger wegen seiner libertären Gesinnung und seines rechtspopulistischen Engagements (etwa für Donald Trump) im Blickpunkt der Medien.In Klaus Sterns Dokumentarfilm kommt Thiel nur am Rande vor. Das Interesse des Films gilt vielmehr Palantir Technologies und Alex Karp. Die Story beginnt 1997 in Karps Geburtsstadt New York, als über den knapp dreißig Jahre alten Sohn eines jüdischen Vaters und einer Afroamerikanerin schon einmal eine Dokumentation gedreht wurde. Da sitzt er auf einer der für New York typischen Treppen vor einem Wohnhaus und will sich eine Zigarre anzünden. Auf diese Szene wird Klaus Sterns Film dramaturgisch geschickt immer wieder zurückkommen. So wird uns der Kontrast zwischen dem Studenten und dem heutigen Global Player immer wieder bewusst gemacht. Sein Werdegang führte Karp über die Stanford University bis nach Frankfurt/Main, wo er 2002 am Institut für Sozialforschung promovierte. Der Film markiert dies als entscheidende Episode in Karps Leben. Denn das weltberühmte Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität gilt als Stätte der kritischen Theorie und nicht als Kaderschmiede für Start-Up-Milliardäre. Kaum hatte Karp den Doktortitel in der Tasche, kam ihm die Idee, ein Unternehmen zu gründen, das Überwachungssoftware herstellt. Es ist diese Janusgesichtigkeit von Alex Karp, zwischen Weltverbesserer und Big Data-Krake, die den Film so spannend und brisant macht.
Da es nicht nur um ihn, sondern auch um das Unternehmen Palantir geht, erfahren wir von den Einsatzorten ihrer Software-Angebote. Auch deutsche Polizeibehörden etwa in Bayern oder in Hessen nutzen sie. Der Film konzentriert sich dabei auf den Einsatz der Software ‚Gotham‘ – tatsächlich benannt nach der Stadt, in der Batman für Recht und Ordnung sorgt – in Hessen, wo sie in ‚HessenData‘ umbenannt wurde. Ob die Software ein Segen der Verbrechensbekämpfung oder ein Fluch flächendeckender Überwachung ist, überlässt der Film auch hier dem Publikum. Besonders brisant wird der Film in der Figur eines ehemaligen Palantir-Mitarbeiters, der, zurückgezogen in Portugal lebend, von der fragwürdigen Unternehmenspolitik und dem gewissenlosen Umgang mit Daten berichtet. Der Film nimmt sich viel Zeit, diesen Whistleblower in der Abgeschiedenheit eines beeindruckenden Naturraums zu zeigen, der ihm als Zufluchtsort vor dem Zugriff der Daten-Krake Palantir dient.
Spannend, brisant, mit einem schillernden Protagonisten und einem hochaktuellen Thema ist Klaus Stern ein beachtlicher investigativer Dokumentarfilm gelungen, der das Prädikat „Besonders Wertvoll“ verdient.