Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Wie groß die Wirkungen kleiner Ursachen sein können, wird in diesem Animationsfilm sehr eindrücklich, unterhaltsam und stilistisch überzeugend vorgeführt. Eine Straßenszene mit einer Anzahl von Filmfiguren wird in einem 360 Grad Schwenk vorgeführt. Es gibt dabei einige dramatische Vorkommnisse. So wird ein Herr auf der Straße von einem Konzertflügel erschlagen. Aber es wird auch gezeigt, wie ein kleines Mädchen in einen Bus steigt. Wenn nach dem eine Minute langen Schwenk die Kamera wieder an ihrem Ausgangpunkt ist, beginnt die gleiche Sequenz noch einmal von vorn, allerdings mit winzigen Veränderungen, die die Vorkommnisse zunächst nur minimal ändern. Dies sorgt für eine Irritation des Zuschauers, denn all die Details hat er sich beim ersten Hinsehen nur schwer merken können. Trügt ihn also sein Gedächtnis, oder passiert hier etwas Fantastisches? Bei den nächsten Durchgängen werden die Veränderungen deutlicher, und auch die Wirkungen sind bald drastisch. Der Flügel fällt nicht mehr auf den Passanten, der Bus, in den das kleine Mädchen einsteigen will, kommt nicht mehr und so weiter. WAITING FOR HAROLD ist mit minimalistisch entworfenenen Knetfiguren animiert. Hier wird nicht mit virtuoser Animationstechnik geprotzt, obwohl die Gebrüder Lauenstein dafür durchaus das Talent und auch die Mittel gehabt hätten. Stattdessen ist dies ein kleiner, durchaus liebevoll gestalteter Kurzfilm, der vor allem durch seine originelle Prämisse überzeugt. Durch den stetigen Rundumschwenk werden die Wiederholungen der Straßenszene ohne Bruch aneinander gereiht, und auch die gemütliche Filmmusik gaukelt eine Harmlosigkeit vor, durch die die extremen und zum Teil komischen Veränderungen der Handlung umso dramatischer wirken. WAITING FOR HAROLD stellt die Frage, in welchem Maße der Verlauf unseres Lebens von Zufällen bestimmt wird, und so ist dies zugleich ein philosophischer, künstlerisch überzeugender und unterhaltsamer Film, dem deshalb das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen wird.