Jury-Begründung
Prädikat wertvoll
Ein Wort von Oscar Wilde besagt, dass man Versuchungen am besten überwindet, in dem man ihnen nachgibt. Dass Versuchungen immer und überall lauern und selbst eine augenscheinlich heile Familie davon bedroht werden kann, wird einmal mehr in diesem, beim Festival von Sundance preisgekrönten Film demonstriert. Eine junge Künstlerin namens Martine kommt nach Los Angeles, um dort gemeinsam mit einem Tontechniker und Filmkomponisten die Untermalung für eine von ihr konzipierte und gefilmte Schwarzweiß-Produktion über Ameisen und Skorpione zu erarbeiten. Sie wird gastfreundlich aufgenommen, da ihre Mutter eine alte Freundin der Frau des Komponisten ist. Schon bald aber verletzt Martine ohne je über die Konsequenzen nachzudenken alle moralischen oder ethischen Verpflichtungen, die sich auch mit dem Begriff Gastfreundschaft verbinden. Scheinbar gedankenlos lässt sie sich mit dem Gastgeber ein, dessen Ehe, wie er selbst sagt, „kompliziert ist“, hat nebenher noch eine rasche Affäre mit dem Assistenten des Künstlers, in den die 16jährige Tochter des Hauses hoffnungslos verliebt ist, und ist scheinbar verwundert, dass die durch ihr Verhalten verletzten Menschen sie nicht länger in ihrem Umfeld haben möchten. Martine nimmt, was sie bekommt, eine 23jährige, die sich nicht um das Chaos schert, das sie anrichtet, die völlig auf sich bezogen durchs Leben geht. Doch ist sie nicht die Einzige, die in Versuchung gerät, bzw. zur Versuchung wird. Aber nicht jeder geht der Versuchung nach, mancher beherrscht die Kunst, sich ihr zu widersetzen wie die Ehefrau des Komponisten, die sich den Annäherungsversuchen eines Patienten erwehrt. Dass eine junge Frau für einen um einiges älteren Mann zur Herausforderung werden kann, ist kein neues Thema im Film, sondern der Stoff, der immer wieder als Basis für Kinodramen dient. Hier aber wird die Thematik sehr ruhig und unaufgeregt inszeniert, die unterschwellige Dramatik fast unterkühlt gespiegelt, wobei mancher Dialog unter einer gewissen Blutleere und hölzernen Starrheit leidet. Alle Darsteller spielen überzeugend, auch die wenig sympathische Hauptfigur, deren Distanz zu jeglichem Gefühl, abgesehen von ihrem Egoismus und Opportunismus, sowie ihr Mangel an Empathie ein beunruhigendes Element der Handlung bilden. Am Ende gibt es keine Gewinner, sondern nur beschädigte Charaktere, die versuchen müssen, die Scherben wieder zusammen zu setzen, die Martine hinterlassen hat – aber vielleicht war sie letztlich nur der Auslöser, um die Brüche in den Beziehung auszuleuchten, die schon vor ihrer Ankunft offensichtlich bestanden hatten.