Vena

Kinostart: 28.11.24
2024
Filmplakat: Vena

FBW-Pressetext

Der Debütabschlussfilm von Chiara Fleischhacker erzählt die Geschichte der werdenden Mutter Jenny, die es trotz ihrer Suchtgeschichte und anstehenden Haftstrafe das erste Mal schafft, gesunden Selbstwert aufzubauen und wohltuende Bindungen zu erfahren. Ein beeindruckendes Langfilmdebüt, mit einer phänomenalen Hauptdarstellerin, das sein komplexes Thema mit großer Zärtlichkeit für seine Hauptfigur vermittelt.

Jenny (Emma Nova) liebt ihren Freund Bolle (Paul Wollin), mit dem sie zusammenlebt und ein gemeinsames Kind erwartet. Ihren schon 6-jährigen Sohn liebt sie auch, doch kann sich gerade nicht um ihn kümmern. Denn Jenny hat jede Menge Probleme. Sie steht kurz davor, eine Haftstrafe anzutreten und sie ist abhängig von Crystal Meth, genau wie Bolle. Zu ihrem ungeborenen Kind empfindet sie ein ambivalentes Gefühl von Nähe, bis eines Tages die über das Jugendamt vermittelte Familienhebamme Marla (Friederike Becht) in ihr Leben tritt. Sie ist eine der wenigen, die Jenny nicht für ihr geringes Vertrauen zu sich und anderen gegenüber verurteilt, sondern als den Menschen sieht, der sie im Kern ist. Jenny lässt genau deshalb Marla immer weiter in ihr Leben und schafft es, ihre Hilfe anzunehmen, um sich ihren Ängsten zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. Für das neue Leben in ihr, aber auch und vor allem für sich selbst.

In ihrem Debütfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg beweist Chiara Fleischhacker ein untrügliches Gespür für sensibles Erzählen und exzellente Schauspielführung. Die Kamera von Lisa Jilg lässt Jenny in keiner Szene aus ihrem Blickfeld, verfolgt sie, rahmt sie ein, betrachtet sie zärtlich. Dass dieser Tanz aus Bild und Figur so gut funktioniert, liegt auch an Emma Nova, die in der Darstellung Jennys physisch und emotional eine intensive Glaubwürdigkeit verkörpert. Jenny ist eine eigenwillige Hauptfigur, die ihre Ablehnung gegen sich selbst zunächst auf ihr Umfeld überträgt. Peu à peu schafft sie jedoch durch gewonnenes Selbstvertrauen auch wieder Zuversicht für ihr Leben zu finden, das sich außerhalb der Beziehung zu Bolle abspielt. Man kommt Jenny im Verlauf des Films unglaublich nah und taucht in die widersprüchliche Gefühlswelt einer jungen Frau ein, die bereits Mutter ist, ohne mit dieser Verantwortung umgehen zu können, die ihren Freund liebt (ein kongenialer Spielpartner: Paul Wollin), obwohl auch er zu labil ist, um den Drogen zu widerstehen, die in ihrem Charakter die Reife einer Erwachsenen und die Verletzlichkeit eines Kindes vereint . Dies alles in einer Darstellung zu leisten – auch unterstützt von Kostüm und Maske – ist eine phänomenale Leistung. Chiara Fleischhacker, die auch das Drehbuch geschrieben hat, hält sich bei allen Figuren von Klischees oder Schwarzweißmalerei fern. Drogenmissbrauch, das Versagen der Behörden, die toxische ko-abhängige Beziehung: Der Film behandelt diese Aspekte mit Respekt, aber lässt bewusst auch Leerstellen, nimmt alle Figuren ernst und vermeidet es, Schuld zuzuweisen. Die gesellschaftlichen Themen sowie die Emotionen der Figuren vermitteln sich authentisch und realistisch. Dass Chiara Fleischhacker Dokumentarfilmregie studiert hat, zeigt sich in vielen Szenen, die eine dokumentarische Authentizität anmuten. Und doch erlaubt der Film seiner Hauptfigur immer wieder Momente des Märchenhaften. Wie der Glitzerstaub, den Jenny auf ihre Orchideen klebt. Oder ein sich im Sonnenlicht drehender Glaskristall, der ein Lächeln auf Jennys Gesicht zaubert. In der Hoffnung, dass das Leben immer irgendwo ein Versprechen bereithält.

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Schon in den ersten Einstellungen unterläuft der Film von Regisseurin Chiara Fleischhacker die Erwartungen der Zuschauer. Keine Spur von rosaroter Glückseligkeit, stattdessen Plattenbautristesse, Drogensucht und Kriminalität.

VENA gelingt das kleine Wunder, trotz der Schwere seines Themas kein deprimierender Problemfilm zu sein. Fleischhacker entwirft mit großer Glaubhaftigkeit das Porträt einer mutigen jungen Frau (Emma Nova), der das Leben viel zumutet und die dennoch Kraft und Haltung entwickelt.

Die Jury lobt zu Beginn die konstant überzeugende Schauspielleistung der Protagonistin (des Casts insgesamt) sowie die Souveränität der Regisseurin. Kein falscher Ton findet sich in diesem Film, Klischees werden gekonnt umschifft. Dass es sich bei VENA um einen Debütfilm handelt, hebt die Jury anerkennend hervor. Ebenso die Tatsache, dass Fleischhacker das Drehbuch zu ihrem Film selbst verfasst hat.

Das Ergebnis ist ein stimmiger, komplexer Film, der sich nicht allein auf Jennys Biografie beschränkt. Ein komplettes gesellschaftliches System wird hier ausgeleuchtet, wobei die erzählerische Gewichtung stets das richtige Maß findet.

Bewusst setzt VENA auf Leerstellen, lässt Fragen offen und das Ende in der Schwebe.
Bei aller Rohheit findet der Film so zu einer fast märchenhaften Aura.

Die Jury bewundert die Zärtlichkeit, die Regisseurin Fleischhacker ihren Figuren entgegenbringt. Nur auf den ersten Blick handelt dieser Film von Verlierern. Je weiter er voranschreitet, desto mehr nähert sich der Zuschauer den Protagonisten (allen voran der Hauptdarstellerin) an.
Trotz seiner Schonungslosigkeit wirkt VENA niemals voyeuristisch. Er lässt den Figuren ihr Geheimnis, ihre Würde.

Auch auf formaler Ebene vermag VENA zu überzeugen. Kamera, Licht, Ton und Schnitt sind stimmig gewählt und unterstützen die filmische Erzählung, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Die Settings tragen zur Glaubhaftigkeit des Gesamtbildes bei.

VENA ist ein kraftvoller Debütfilm, der relevante gesellschaftliche Fragen aufwirft und eine junge Frau in den Mittelpunkt stellt, die nach dem Abspann noch lange nicht vergessen ist.

Nach ausführlicher Diskussion entscheidet sich die Jury einstimmig für die Vergabe des Prädikates BESONDERS WERTVOLL.