Unspoken

Filmplakat: Unspoken

FBW-Pressetext

Ein sexueller Missbrauch konfrontiert den jungen Musiker Seweryn mit einem lange zurückliegenden Trauma, das er bis jetzt nie aufarbeiten konnte. Der neue Film von Piotr J. Lewandowski behandelt ein erschütterndes und sensibles Thema und vermittelt dabei überzeugend die Auseinandersetzung des Opfers mit seinem Trauma.

Eigentlich läuft alles super für Seweryn. Ein Plattenlabel ist kurz davor, ihn als Sänger und Songwriter unter Vertrag zu nehmen, und mit seiner Freundin Caro lebt er glücklich zusammen. Doch als Seweryn seine Songs bei einem Gig in einer Bar vorstellt, tut der Barbesitzer alles, um ihn betrunken zu machen und ihn später sexuell zu missbrauchen. Seweryn kann lange nicht verarbeiten, was genau geschehen ist. Doch als er seine Stimme verliert, nicht mehr singen kann und sich auch immer mehr von Caro entfernt, wird schnell klar, dass die Begegnung mit dem Barbesitzer nicht nur ein Trauma ausgelöst hat – sondern Seweryn auch an ein schon lang zurückliegendes Trauma erinnert, welches tief in seiner Seele vergraben liegt.

Der Umgang mit einer posttraumatischen Störung aufgrund einer Misshandlung: Für seinen neuen Film hat sich Piotr J. Lewandowski ein ungemein schwieriges und sensibles Thema ausgesucht. Wie auch bei JONATHAN und KÖNIG DER RABEN liegt die Stärke von Lewandowskis Filmen in dem intensiven Eintauchen aller Gewerke in das Innere der Hauptfiguren. Henning Flüsloh zeigt als Seweryn überzeugend einen jungen Mann in der ganzen Ambivalenz einer zutiefst traumatisierten und verschlossenen Figur, die sich mit Händen und Füßen gegen alles wehrt, was bei einer Aufarbeitung des Traumas helfen könnte. Nicht einmal Cora, die Henriette Confurius mit Stärke und Pragmatismus verkörpert, kommt noch an ihn heran. Eine sehr nah an den Figuren haftende Kamera und eine Montage, die geschickt verschachtelt erzählt, verstärken die bedrückende Enge, die im Lauf des Films auch für die Zuschauenden entsteht. Mit UNSPOKEN gelingt Lewandowski und seinem Team ein einfühlsamer und eindringlicher Film, der sich mutig einem schwierigen und gesellschaftlich relevanten Thema stellt und es mit Sensibilität verhandelt. Ein Film, der auch die eigene Handschrift dieses interessanten Regisseurs unterstreicht.
Prädikat wertvoll

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Im Grunde wird hier eine Coming-of-Age-Geschichte erzählt, auch wenn die Protagonist*innen schon in ihren 30ern sind. Aber sie weigern sich, erwachsen zu werden, wie viele, die als die neue ‚Bohème‘ in Berlin leben. Seweryn ist Musiker, verdient aber mit Gelegenheitsarbeiten auf dem Bau sein Geld. Er lebt in einer Wohngemeinschaft mit seiner Freundin und einem sehr hedonisch seine Homosexualität auslebenden Person of Colour. Nach einem seiner Konzerte wird Seweryn im Drogenrausch sexuell missbraucht, und diese tiefe, innere Verletzung stößt ihn in eine existentielle Krise, in der der Sänger seine Stimme verliert und zunehmend aggressiv auf die Menschen reagiert, die ihm nahe stehen. Denn durch sie wird die Erinnerung an ein schweres Trauma aus seiner Kindheit getriggert. Piotr J. Lewandowski erzählt hier von der sexualisierten Gewalt gegen Männer, indem er meist sehr nah an seinem Protagonisten bleibt. Durch eine ungewöhnlich expressionistische Kamera wird eindrucksvoll deutlich gemacht, wie Seweryn die jeweilige Situation empfindet. Dabei wird viel mit ungewöhnlichen Perspektiven, Optiken und Unschärfen gearbeitet. Auch dadurch bekommt Henning Flüsloh als Seweryn eine große körperliche Präsenz. Lewandowski gelingt es auch, das soziale Milieu, in dem Seweryn lebt, authentisch und detailreich lebendig werden zu lassen. In diesem Sinne ist UNSPOKEN auch ein Berlinfilm mit vielen interessanten und „unverbrauchten“ Originaldrehorten. Ungewöhnlich ist auch die Entscheidung, Seweryn mit einer alten Nachbarin eine mütterliche Freundin an die Seite zu geben, mit der er nachts auf einem Dach seine Ruhe finden kann. Auch dadurch findet Seweryn die Kraft, mit anderen über den Missbrauch in seiner Kindheit zu reden. Dass sofort danach dann der Heilungsprozess einsetzt und er wieder singen kann, scheint der Jury allerdings ein etwas zu optimistisches Ende zu sein. Eine Minderheit der Jury hatte darüber hinaus tiefergehende Einwände gegen den Film, denn sie als eine ‚Nabelschau mit einem extrem egozentrisch handelnden Protagonisten‘ sah. Nach langer und intensiver Diskussion und in Abwägung aller aufgeführten Argumente wurde dem Film das Prädikat WERTVOLL verliehen.