Und morgen die ganze Welt

VÖ-Datum: 12.03.21
2020
Filmplakat: Und morgen die ganze Welt

FBW-Pressetext

Radikal erzählt, packend inszeniert - Kino von hoher politischer Relevanz.

In ihrem neuen Film erzählt Julia von Heinz die Geschichte der jungen Studentin Luisa, die sich in der linken Kommune ihrer besten Freundin engagiert und sich im Kampf gegen die rechte Szene immer stärker radikalisiert. Ein mitreißender Film von hoher Relevanz, der die Frage nach der Rechtfertigung von Gewalt und demokratischem Widerstand packend inszeniert.

Julia von Heinz packt mit ihrem neuen Film ein hochaktuelles gesellschaftliches Thema an. Gleichzeitig gelingt auch ein reflektierender Blick zurück in eine deutsche Geschichte, die immer geprägt war von dem Prinzip einer Auseinandersetzung zwischen demokratischen und anti-demokratischen Kräften. Die Desillusionierung einer vorangegangenen Generation, die ihren Kampf bereits aufgegeben hat, hat auch Einfluss auf die Figur der Luisa, die Mala Emde mit beeindruckender Ausdruckskraft spielt und die völlig zurecht mit dem Bisato d‘Oro als beste Darstellerin in Venedig ausgezeichnet wurde. Die packend inszenierte Story fesselt mit einem sehr sicheren Gespür für Timing fast wie in einem Thriller, immer wieder gibt es dialogstarke Sequenzen (Co-Drehbuchautor John Quester), in denen gesellschaftliche Themen verhandelt werden, und das stark zusammenspielende Ensemble, allen voran neben Emde Noah Saavedra und Tonio Schneider als Alfa und Lenor, die für verschiedene Ansichten innerhalb des linken Spektrums stehen, kann sämtliche Konflikte glaubhaft verkörpern. Die Kamera von Daniela Knapp ist nah bei Luisa, ihre innere Zerrissenheit schafft die Verbindung zum Publikum. Die Frage, wie weit man in seinem Kampf gegen antidemokratische Kräfte gehen darf, lässt von Heinz unbeantwortet stehen. Stattdessen kommt sie immer wieder auf einen Satz des Grundgesetzes (§20, Abs.3) zurück, der da heißt: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Dieser Absatz wird zu einem starken zentralen Motiv, wenn er in einer Szene im Hörsaal von Studenten diskutiert wird oder einfach als Kommentar über den eindrucksvollen Bildern steht. UND MORGEN DIE GANZE WELT ist ein Film, der viel Platz für einen ausführlichen Diskurs bietet – auch nach dem Kinobesuch.

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Luisa hat sich nach dem Abi in Mannheim für Jura eingeschrieben, aber sie spürt, dass sich noch mehr in ihrem Leben ändern muss. Ihr Vorbild ist Batte, die in einem von Autonomen besetzten Haus lebt und gegen Rechts kämpft. Dort wird Luisa zunächst nur argwöhnisch beäugt. Dann aber erhält sie ihre Bewährung. Auf einer Demo gegen eine rechtspopulistische Partei legt sie sich mit einem Neonazi an.

Unversehens befinden sich die Zuschauer mitten drin, in Regisseurin Julia von Heinz unglaublich authentischer Auseinandersetzung mit dem Kampf der Antifa gegen rechte Kräfte in Deutschland. Die Jury meinte geradezu die Gedanken und Gefühle Luisas mitdenken, bzw. -fühlen zu können. Gut nachvollziehbar, dass UND MORGEN DIE GANZE WELT durch die persönlichen Erfahrung von Julia von Heinz in der Antifa-Arbeit geprägt ist. Erheblich zur Glaubwürdigkeit des Films hat nach Ansicht der Jury auch der Cast beigetragen. Allesamt hervorragende, unverbrauchte Darsteller, die weit davon entfernt sind, hölzerne Charakterschablonen zu bedienen.

Kamerafrau Daniela Knapp ist mit ihren eindringlichen Bildern immer ganz nah an der Protagonistin. Mit tollem Rhythmus und exzellentem Timing zeigt der Film die genauso allmähliche, wie naheliegende Radikalisierung der Protagonistin. Dort, wo Judikative, Legislative und Exekutive offensichtlich zu versagen scheinen, gewinnt der Ansatz der Antifa, Gewalt als politisches Mittel einzusetzen, für Luisa immer mehr an Sinn. Zumal der angehenden Juristin mit Art. 20 (4) GG eine klare Handlungsanweisung anzudeuten scheint. Fasziniert von den charismatischen Vordenkern und -kämpfern Alpha und Lenor, ist Luisa bereit, immer radikaler gegen die Gefahr von Rechts zu agieren, auch wenn sie damit ihre Freundin Batte längst vor den Kopf gestoßen hat. Aber irgendwann, auch das zeigt der Film, wird der Aktionismus zum Selbstläufer. Wer nicht mit der Antifa ist, ist gegen sie.

Von dieser dichten Milieustudie aus lässt Julia von Heinz UND MORGEN DIE GANZE WELT mehr und mehr zum packenden Thriller werden. Mit überzeugenden Dialogen, tollem Score, ausgezeichnetem Schnitt und vor allem einer beeindruckenden Dramaturgie hat der Film die Jury überzeugt. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen der aktuellen, politischen Dimension kann sich ihr Film in Sachen Spannung durchaus mit Hollywood messen. Denn UND MORGEN DIE GANZE WELT bezieht tatsächlich Stellung und macht die Leitfigur Luisa zu wesentlich mehr als zu einer bloßen Protagonistin. Ganz im Gegenteil: Sie ist eine klassische Kinoheldin.

Die Jury zeigte sich aber auch von der Vielschichtigkeit des Films beeindruckt. UND MORGEN DIE GANZE WELT kreist zugleich um mehrere Themenkomplexe. Zum Einen erforscht der Film die gesellschaftliche und politische Tolerierung rechtsradikaler Strömungen, zum anderen stellt er die Frage danach, wie weit man gehen darf, um einen Rechtsruck abzuwehren. Und obendrein wirft die Frage auf, inwieweit sich in ihrer Radikalität Rechts und Links in ihrer Bereitschaft zur Gewalt ähneln.