Und der Zukunft zugewandt

Kinostart: 05.09.19
2018
Filmplakat: Und der Zukunft zugewandt

FBW-Pressetext

UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT von Bernd Böhlich erzählt die Geschichte einer Frau, die 1952 in die junge DDR kommt, nachdem sie jahrelang in einem russischen Gulag gefangen war. Als Gegenleistung für eine neue Existenz verlangt man von ihr, über ihre Vergangenheit zu schweigen.

DDR, 1952. Die Absprache ist ganz klar. Antonia Berger und ihre Tochter erhalten ein Dach über dem Kopf, die schwerkranke Tochter wird ärztlich versorgt, Antonia bekommt eine neue Anstellung. Alles, was sie dafür tun müssen, ist schweigen. Schweigen darüber, dass sie – wie viele andere Menschen – in der Sowjetunion als Gefangene der Regierung in Lagern untergebracht waren. Dass sie zur Zwangsarbeit benutzt wurden. Dass Antonias Mann erschossen wurde. Von den eigenen Parteigenossen. Das alles darf niemand in dem gerade erst „erblühenden“ kommunistischen Staat hören. Denn hier soll alles anders werden, soll nach vorne geschaut werden. Antonia selbst glaubt an den Kommunismus. Und so schweigt sie. Auch sie will nach vorne schauen. Immer der Zukunft zugewandt. Bernd Böhlichs neuer Film UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT erzählt eine hochbrisante und komplexe Geschichte, die das Spannungsverhältnisse der damaligen Zeit, als sich Ost und West in Deutschland nicht nur als Länder, sondern auch ideologisch trennten, überzeugend beschreibt. Eindringlich spielt Alexandra Maria Lara Antonia Berger, die zwischen Dankbarkeit und Loyalität gegenüber dem Staat, an den sie glaubt, und Verzweiflung und Verbitterung über den Verlust eines großen Teils ihres Lebens hin- und hergerissen ist. Böhlich und sein Kameramann Thomas Plenert achten darauf, weder die einzelnen Einstellungen noch die Montage insgesamt erzählerisch zu überfrachten. Das Erzähltempo ist ruhig, die Ausstattung extrem sorgfältig und authentisch, die Dialoge sind reduziert. UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT ist nicht nur spannendes und differenziert erzähltes Geschichtskino, sondern auch ein bewegendes Drama, das durch seine brillanten Darsteller und seine kluge Inszenierung, zu der auch der sorgsam eingesetzte Score gehört, überzeugt.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Bernd Böhlich
Darsteller:Alexandra Maria Lara; Carlotta von Falkenhayn; Stefan Kurt; Barbara Schnitzler; Karoline Eichhorn; Robert Stadlober; Swetlana Schönfeld; Peter Kurth; Jenny Langner
Drehbuch:Bernd Böhlich
Kamera:Thomas Plenert
Schnitt:Gudrun Plenert
Musik:Sebastian Schmidt
Länge:108 Minuten
Kinostart:05.09.2019
Verleih:Neue Visionen
Produktion: Mafilm Film- und Fernsehproduktions GmbH
FSK:12
Förderer:MDM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

„Auferstanden aus Ruinen“, das mag man der DDR zugestehen, aber war sie dabei auch „der Zukunft zugewandt“? - Bernd Böhlichs Drama kann zur Beantwortung dieser Frage ein wenig beitragen.

Dass Kommunistin Antonia helfen wollte, den Kommunismus in der Sowjetunion aufzubauen, war den russischen Genossen vollkommen egal, als sie sie in den Gulag steckten. Wie vielen anderen KPD-Mitgliedern wirft ihr Stalin Spionage vor. Antonias Mann stirbt im Lager, beinahe auch ihre Tochter. Als sie schließlich zurück nach Deutschland kann, erhält sie eine veränderte Biografie und muss schwören, nichts vom Horror des Gulags zu erzählen. Die neue, sozialistische DDR fürchtet sich davor, sich mit dem großen Bruder anzulegen und dem kapitalistischen Westen eine Heldin für seine Propaganda zu liefern. „Wahrheit ist, was uns nützt“ ist die simple Begründung der SED. Antonia ist einverstanden, aber die Vergangenheit holt sie immer wieder ein.

UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT ist ein Drama, das von einer Problematik erzählt, die bislang nur wenig Beachtung gefunden hat. Wie viele Kommunisten bei den stalinistischen Säuberungsaktionen in Lager geraten sind, ist bis heute nicht bekannt und erst ab 1989 wagten die wenigen überlebenden Rückkehrer vom widerfahrenen Unrecht zu sprechen. Kein Wunder, dass die Zeit der Wende Bernd Böhlichs Drama rahmt, in der Antonia mit einem früheren Freund über die Jahre in der DDR spricht.

In der Diskussion zeigte sich, dass die Jury Böhlichs Drama anfangs beinahe für ein wenig zu konventionell erzählt hält. Andererseits aber handelt UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT von einer Thematik, die bislang so wenig mediale Beachtung gefunden hat, dass die lineare Erzählstruktur vermutlich sogar weise gewählt ist, um den Inhalt gut vermitteln zu können. Mit schönem, ruhigem Erzähltempo folgt das Drama dem Weg, den Antonia und ihre Tochter in der neugegründeten DDR wählen müssen.

Dabei hat Böhlich die Charaktere seines Dramas mit großer Stille umgeben. Und genau diese Stille lässt deren Verlorenheit geradezu spürbar werden. Zwar wird Antonia in ihrer neuen Umgebung freundlich empfangen, aber ihr Schweigen kann nicht verstanden werden und nährt immer wieder Misstrauen und Argwohn. Die DDR ist noch jung und deren Bewohner glauben noch an den Sieg des Sozialismus und die Verkommenheit des Westens. Böhlich konzentriert sich auf seine Protagonistin und kann die Stimmung, die sie umgibt, mit äußerster Glaubwürdigkeit einfangen. Nur in wenigen Momenten wird deren tiefe Einsamkeit durchbrochen. Dann nämlich, wenn sie mit dem jungen Arzt Konrad Zeidler zusammen ist, kann auch der Zuschauer aufatmen und zusammen mit Antonia Kälte und Isolation kurz vergessen.

Für UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT kann Böhlich auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen, allen voran Alexandra Maria Lara, die die Protagonistin verkörpert. Die Schauspieler bilden Charaktere ab, die auch mit Zwischentönen keine Probleme haben. Ein unbedingtes Muss bei diesem noch so wenig bearbeiteten Thema. Allein die Gestalt des Konrad Zeidler schien der Jury, in der Besetzung mit Robert Stadlober, mitunter ein wenig zu glatt und sorgenfrei. Der nur zaghaft eingesetzte Score setzt nach Ansicht der Jury immer wieder pointierte Stimmungsakzente, ohne jemals aufdringlich zu wirken. Positiv überraschen konnten auch Ausstattung und Szenenbild, die nicht nur authentisch wirken, sondern auch die Sterilität des neuen Lebens Antonias hervorragend widerspiegeln. Alles in allem ist UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT die genauso intensive wie spannende Verfilmung eines wichtigen Themas der jüngeren deutschen Vergangenheit. Ein Film, dem es mühelos gelingt, auch Brücken in unsere Gegenwart zu schlagen.