Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Tore tanzt ist ein kompromissloser Film, der die Zuschauer tief verunsichert. Denn er gibt keine Antworten. So bleibt bis zum Schluss unerklärlich, warum Tore immer wieder zu seinen Peinigern zurückkehrt. Dabei ist es aber auch eine Stärke des Films, dass er seinem Publikum dies zumutet. Denn eine „saubere“ Auflösung wäre dieser Geschichte nicht angemessen. Es bleibt ein Geheimnis, warum Tore sich wissentlich auf diesen Leidensweg begibt und warum er das radikal Böse in seiner Ersatzfamilie weckt. Erzählt wird hier eine moderne Passionsgeschichte. Tore folgt seinem Vorbild Jesus Christus bis zum konsequenten Ende. Er hält die andere Wange hin und liebt seine Feinde. Dem entspricht auch die Einteilung in drei Kapitel, die nach den christlichen Tugenden Glaube, Liebe, Hoffnung genannt wurden. Dieser radikale Sinnsucher, den man in verschiedenen Kontexten sowohl einen geistig Kranken wie auch einen Heiligen nennen kann, wird von einer Familie aufgenommen, die in einem Schrebergarten lebt und durch seine Leidensfähigkeit zu immer grausameren Quälereien angestachelt wird. Dabei geht der Film oft an die Grenze des Erträglichen, obwohl oder gerade weil die brutalen Taten nicht spekulativ ausgestellt, sondern stattdessen suggestiv angedeutet werden. Hier zeigt sich das beachtliche Regietalent von Katrin Gebbe, die mit einer bewusst kunstlos eingesetzten Kamera arbeitet und jede Distanzierung durch Stilisierung vermeidet. So kommt man den Charakteren sehr nahe. Umso beeindruckender ist es, wie authentisch und intensiv das gesamte Ensemble der Darsteller spielt. An diesem Film scheiden sich die Geister. Auch in der Jury wurde lange und leidenschaftlich über ihn diskutiert. Aber spricht es nicht für die Kraft eines Filmes, dass er solche starken Reaktionen hervorruft?