Filmplakat: The Sunset Special

FBW-Pressetext

Er hat ein Boot. Das schönste Boot. Damit fährt er nun auf eine Insel. Die schönste Insel. Und wenn er angekommen ist, wird er zusammen mit einer Urlaubsbekanntschaft zu seinem Hotel spazieren. Dem schönsten Hotel. Genau so muss es sein, denn immerhin muss er allen Daheimgebliebenen davon berichten. Also werden Fotos gemacht und in sozialen Netzwerken geteilt. Denn nur wenn man sieht, wie schön es wirklich war, ist es auch wirklich passiert. Oder? In seinem experimentellen Kurzanimationsfilm THE SUNSET SPECIAL verarbeitet der Regisseur Nicolas Gebbe die Inszenierungswut der Generation Social Media und der Überfluss einer Gesellschaft, die die Einzigartigkeit eines Erlebnisses zu etwas Seriellem, Gewöhnlichen machen. Die animierten Figuren agieren und sprechen wie leblose NPCs aus Computerspielen, die Dialoge sind hülsenhaft und werden als austauschbare und emotionslose Aussagen abgespult. Dazu eine Musik, die in ihrer Repetition des Motivs im besten Sinne enervierend ist. Dies alles wirkt überhöht und überspitzt, doch trifft als spitze filmische Beobachtung sehr genau einen wichtigen Punkt. THE SUNSET SPECIAL ist ein kluger Film, der unserer digitalsozial interagierenden Zeit einen Spiegel vorhält.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Experimentalfilm; Kurzfilm
Regie:Nicolas Gebbe
Drehbuch:Nicolas Gebbe
Kamera:Nicolas Gebbe
Schnitt:Nicolas Gebbe
Musik:Nicolas Gebbe
Webseite:nicolasgebbe.de;
Länge:17 Minuten
Produktion: Nicolas Gebbe

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ein einsamer Strand, ein schickes Boot, ein exklusives Hotel, eine perfekte Partnerin – das ist der Urlaub Deiner Träume! Lasse Deinen Alltag hinter Dir und begib Dich auf die Reise in eine Welt voller Luxus, Perfektion und Überfluss. Und teile Deine Bilder und Berichte in den sozialen Netzwerken. Man wird Dich beneiden, denn schließlich haben wir doch alle die gleichen Sehnsüchte und Erwartungen – oder etwa nicht?
Excellent – beautiful – exclusive – delightful – exceptional – wonderful – impressive – incredible! Die Charaktere in Nicolas Gebbes experimentellem Kurzanimationsfilm überbieten sich in euphorischen Attributen, die sie ihrem tropischen Urlaubsparadies zuschreiben. Nur ist ihren blechernen, computergenerierten Stimmen keinerlei wahre Begeisterung oder innere Regung anzumerken. Bei der ständigen Wiederholung leerer Floskeln und Klischees kommt auch keine wirkliche Kommunikation zwischen den Personen zustande. Alle scheinen gefangen in ihren eigenen Gedanken und Fantasien. Die Personen haben auch keine besonderen Merkmale, die sie als Individuen ausweisen, sondern sie wirken wie seelenlose Figuren aus Modellbaulandschaften oder NPCs aus Computerspielen, die nur eingeschränkt und mechanisch agieren. Hier bewegen sie sich wie ferngesteuert zwischen palmengesäumten Stränden und glatten Hochhausfassaden – unablässig auf der Suche nach der perfekten Location.
Eine solche hat Nicolas Gebbe in THE SUNSET SPECIAL erschaffen: Clippings aus Reisekatalogen und Social-Media-Postings sind collageartig drapiert zur ultimativen Destination. Hier scheint alles perfekt, aufgeräumt, sauber – aber auch völlig leer und leblos. Kein Krach oder Lachen ist zu vernehmen. Stattdessen erklingt eine gleichförmige elektronische Musik, unterlegt mit Meeresrauschen. Aber alsbald wird das scheinbare Paradies dekonstruiert, indem die Bilder sich mehr und mehr überlagern, in Glitch-Ästhetik verzerrt und brüchig werden. Ist die schöne neue Urlaubswelt doch nicht so perfekt, wie sie auf den ersten Blick erscheint?
Nicolas Gebbe beschäftigt sich in seinem experimentellen Kurzfilm mit den Glücksversprechen der digitalen Welt, die die Wünsche und Wahrnehmung der Menschen zunehmend bestimmen. Indem er sich die Traumbilder der Werbung und sozialen Netzwerke aneignet, sie filmisch überspitzt und verfremdet, erzeugt er ironische Brechungen. Damit legt er nicht nur die Oberflächlichkeit und Floskelhaftigkeit der Tourismusindustrie und die realitätsverzerrenden Inhalte der sozialen Medien bloß, sondern plädiert auch für mehr Achtsamkeit in der digitalen Interaktion.