The Billion Dollar Code
FBW-Pressetext
Inhalt: Basierend auf wahren Begebenheiten erzählt die Netflix-Miniserie die unglaubliche Geschichte zweier deutscher Computerpioniere, die im Kampf gegen einen scheinbar unbesiegbaren Gegner vor Gericht ziehen, um als Erfinder des Google-Earth-Algorithmus anerkannt zu werden. Von der Hackerszene im Nachwende-Berlin der 90er Jahre über die idealistische Welt des frühen Silicon Valley bis hin zur harten Realität eines Multi-Millionen-Dollar-Prozesses erzählt The Billion Dollar Code von einer großen Freundschaft, von Loyalität und der Frage nach Gerechtigkeit im digitalen Zeitalter.Bewertung: Mit ihrer vierteiligen Miniserie (geschrieben und produziert von Robert Thalheim und Oliver Ziegenbalg) gelingt das Kunststück, packend, spannend und unterhaltsam von etwas zu erzählen, was sich im Grunde gar nicht für eine filmische Umsetzung anbietet: Das Programmieren am Computer. THE BILLION DOLLAR CODE verfrachtet die Zuschauer*innen dank Setting, Musik und Kostüm absolut authentisch in das frühe Zeitalter des digitalen Unternehmertums zurück. Erzählerisch legen Ziegenbalg und Thalheim den Fokus auf die enge und ambivalente Beziehung der beiden Protagonisten Juri und Carsten, die auf mehreren zeitlichen Ebenen ihre Geschichte erzählen. Geschickt springt die Erzählung zwischen Damals und heute, zwischen der Entstehung einer bahnbrechenden Idee, der Realisierung des Scheiterns und dem Hinarbeiten auf die Gerichtsverhandlung in den USA. Ein klug gebautes Drehbuch und ein grandioser Cast sorgen dafür, dass man der Geschichte mit Spannung folgt und immer mehr die Motivation von Juri und Carsten nachempfindet. In den Hauptrollen glänzen Mark Waschke, der Carsten als charismatisch-charmanten Wortführer gibt (als jüngere Version von Carsten steht ihm Leonard Scheicher in nichts nach), und Mišel Maticevic, der als Juri eine tiefsitzende Verbitterung aufgrund der Vergangenheit in sich trägt. Seine inneren Konflikte und die tiefgehende Freundschaft mit Carsten sind das Herz der Serie, und zusammen mit Marius Ahrendt, der Juri als jungen Mann verkörpert, erschaffen die Macher*innen hier eine wahrhaftige mehrdimensionale Figur mit Ecken und Kanten. Dazu überzeugt Lavinia Wilson in der Rolle der engagierten Anwältin, die alles versucht, um Juri, Carsten und ihrer Firma zu ihrem Recht zu verhelfen. Jede Folge enthält ein bestimmtes erzählerisches oder gestalterisches Muster und so kann man nie sicher sein, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt. Eine perfekt getimte Montage, ein Erzählrhythmus, der die Zuschauer*innen trotz des komplexen Themas nicht verliert und die genaue Recherche der Hintergründe machen die Miniserie zu etwas ganz Besonderem.
Fazit: Eine komplexe, spannend erzählte und vor allem wahre Geschichte mit einem großartigen aufeinander abgestimmten Ensemble – THE BILLION DOLLAR CODE ist perfektes Erzählkino in Serienform.
Filminfos
Gattung: | Drama; Serie |
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Regie: | Robert Thalheim |
Darsteller: | Mark Waschke; Misel Maticevic; Leonard Scheicher; Marius Ahrendt; Lavinia Wilson; Seumas Sargent |
Drehbuch: | Oliver Ziegenbalg; Robert Thalheim (Co-Autor) |
Kamera: | Henner Besuch |
Schnitt: | Stefan Kobe; Anja Siemens |
Musik: | Uwe Bossenz; Anton Feist |
Länge: | 265 Minuten |
VÖ-Datum: | 07.10.2021 |
Verleih: | Netflix |
Produktion: | Kundschafter Filmproduktion GmbH, Sunny Side Up Films; |
Jury-Begründung
Die FBW-Jury hat der Serie das Prädikat besonders wertvoll verliehen.Der Kampf von David Goliath ist ein x-fach genutztes und leider auch häufig bis hin zum Kitsch verklärtes Filmsujet. Vom Kitsch ist THE BILLION DOLLAR CODE allerdings Meilen weit entfernt. Die Netflix-Miniserie erzählt von der Auseinandersetzung zweier Computer-Geeks mit dem Google-Imperium. Eine Geschichte nach realem Vorbild, durchaus frei, dafür aber sehr spannend erzählt. Zu Beginn der 90er Jahre erfinden die Protagonisten Juri Müller und Carsten Schlüter „Terra Vision.“ Ein Programm, mit dem Computer-Anwender virtuell über die Erde fliegen können. Die Beiden denken bei der Realisierung zunächst an Kunstprojekte und ahnen nicht, welch großes Potential in „Terra Vision“ wirklich steckt. Doch dann erscheint im Jahr 2001 „Google Earth“. Und Müller und Schlüter bemerken mehr als nur eine große Ähnlichkeit zu ihrem Programm.
Robert Thalheim und Oliver Ziegenbalg waren clever genug, sich bei THE BILLION DOLLAR CODE nicht allein auf patentgerichtliche Auseinandersetzungen und Programmierdetails zu verlegen. Immer wieder kehren sie das Freundschafts- und manchmal auch nur Loyalitätskonzept ihrer Protagonisten in den Vordergrund und hauchen dadurch einem nur bedingt unterhaltenden Thema einen gehörigen Schuss Leben ein. Vor dem Hintergrund ihrer Erfindung und in vier sich Inhaltich gut voneinander abgrenzenden Folgen verfolgt die Netflix-Serie Juri und Carsten, ihr privates und berufliches Mit-, Für- und auch Gegeneinander, von den frühen 90er Jahren bis in 2016, das Jahr des Patentprozesses. So farblos und dröge dieser Satz klingen mag, die Geschichte ist abwechslungsreich und unterhaltsam.
THE BILLION DOLLAR CODE setzt nicht auf eine stringente, kausal-chronologische Erzählung, sondern verknüpft filmisch immer wieder Ereignisse der 1990er mit denen der 2010er Jahre. Dass der Erzählfaden dabei nie reißt und die Zuschauer jederzeit Personen, Zeit und Ort zuordnen können, spricht für das Talent von Thalheim und Ziegenbalg. Ohne ein älteres Publikum zu langweilen, vermag die Serie auch einem sehr viel später geborenen Publikum ein Gefühl für das Leben in den 1990er Jahren zu vermitteln. THE BILLION DOLLAR CODE ist toll besetzt und hervorragend gespielt (allen voran ist hier die Leistung von Mišel Maticevic als Juri zu erwähnen) und auch den Schnitt und der an THE SOCIAL NETWORK erinnernde Score empfindet die Jury als beachtenswert.
Allerdings entdeckte die Jury auch ein paar Wermutstropfen. So erscheint ihr THE BILLION DOLLAR CODE in seinem solchen Maße ein Film über eine Männerfreundschaft, dass in der Diskussion tatsächlich die Frage aufgeworfen wurde, welche Funktion die wenigen Frauenfiguren tatsächlich einnehmen, die die beiden Protagonisten durchs Leben begleitet haben. Überhaupt wirken einige Nebenfiguren doch etwas blass und somit nebensächlich. Hier hätte sich die Jury den Mut für eine stärkere Ausarbeitung der Charaktere oder, alternativ, eine Reduzierung des Figurenensembles gewünscht. In dieser Hinsicht ist auch die Überlegung der Jury zu verstehen, ob THE BILLION DOLLAR CODE seine Rezipient*innen evtl. intensiver als Langfilm oder zumindest als Dreiteiler angesprochen hätte. So aber deuten die mit Fortlauf der Story immer häufiger eingesetzte Erzählerstimme, wie auch inszenatorische Längen darauf hin, dass Ziegenbalg und Thalheim die rezeptiven Fähigkeiten ihres Publikums eventuell ein wenig unterschätzen und zu sehr auf dramaturgische Sicherheit gesetzt haben.
Letztlich aber bietet THE BILLION DOLLAR CODE eine wirklich überzeugende Story über männliche Wünsche, Ziele und Bedürfnisse und darüber hinaus eine wirklich spannend aufgearbeitete Geschichte über das Geschäftsgebaren einer „Billion-Dollar-Company“. Sound, Color-Grading und Motiv-Wahl sind der Rezeptionserfahrung am heimischen Bildschirm angepasst, so dass Zuschauer mit den Protagonist*innen im Home Entertainment definitiv mitfiebern können.
Und wer sich übrigens über die Zusammenhänge und realen Hintergründe dieser hier dargestellten Geschichte informieren möchte, der der wird durch eine Vielzahl an Treffern belohnt. Wichtig ist hierbei jedoch natürlich die Auswahl einer eher weniger bekannten Suchmaschine.