Filmplakat: Stumm

FBW-Pressetext

Als die Wende Deutschland wiedervereinte, war Anna gerade einmal ein Teenager. Für sie war die neue Zeit, der Westen, die Freiheit, alles aufregend. Doch dann wird sie mit einer Wahrheit über ihren Vater konfrontiert, die sie nicht mehr loslässt. Ihr Vater war bei der Stasi. Er hat Menschen ausspioniert, hat über ihre Akten ihr Leben studiert. Und in Anna wächst immer mehr der bedrohliche Gedanke: Was, wenn ihr Vater auch den Befehl gab, einen Menschen zu töten? Könnte sie jemals mit dieser Wahrheit leben? Der kurze animierte Dokumentarfilm von Anna Theil ist nur acht Minuten lang. Und doch gelingt es der Filmemacherin in dieser kurzen Zeit, durch ihren autobiografischen Ansatz – sie selbst fungiert auch als Erzählerin mit sachlicher, leicht distanzierter Stimme – die Betrachtenden in ihre Erlebnisrealität hineinzuholen. Die Animationen wirken wie Skizzen, wie fliehend-fließende Gedankenströme, die mit viel Symbolik Ängste, Zweifel und Empfindungen greifbar machen. Und am Ende versetzt man sich automatisch in Annas Lage, überlegt, wie man selbst mit so einer Situation umgehen würde. All das macht STUMM zu einem besonders wertvollen Beitrag der deutsch-deutschen Vergangenheitsbewältigung, die fern von jeder Schwarz-Weiß-Malerei die Welt in all ihren nuancierten Grautönen zeigt, aus denen jede Biografie nun einmal besteht.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Anna Theil
Drehbuch:Anna Theil; Sven Heußner
Schnitt:Anna Theil
Musik:Magnus Moon
Länge:7 Minuten
Produktion: Anna Theil
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Darstellung in Tagebüchern hat Stärken, aber natürlich auch Schwächen. Als Quelle objektiver Berichterstattung können die darin festgehaltenen Gedanken nur bedingt taugen. Andererseits aber vermögen Tagebücher wie kaum ein anderes Medium einen relevanten Teil zeitgenössischer Wahrnehmung wiederzugeben, der die Kraft besitzt, entscheidende Diskurse anzustoßen.

STUMM von Anna Theil berichtet ganz offen und frei von ganz intimen Erinnerungen an ein Stück der jüngsten deutschen Vergangenheit. Nach dem Fall der Mauer freut sich die ich-erzählende Protagonistin Anna auf ihre neugewonnene Freiheit, bis sie eines Tages ein Stück ihrer Vergangenheit einholt. Ihr Vater, der bei der Stasi war, soll unter Umständen an der Planung zu einem Mord beteiligt gewesen sein.

Mit kleinen Animationen und Stop-Motion- bzw. Legetechnik hat Anna Theil die Informationen aus der Tonspur visuell inszeniert. Eine Schublade geht auf, Stofffetzen und Zeitungsausschnitte falten sich zu Gegenständen, werden zerknüllt und verschwinden wieder. Das wirkt ziemlich leger und heiter und ist angesichts des sensiblen Themas ausgesprochen mutig inszeniert. Andererseits ist es natürlich auch Teil von Theils Erinnerungen. Aber genau diese Verknüpfung von politischen Vorgängen und privaten Erinnerungen kann stärkere und tiefere Einblicke in das Empfinden der Wende vermitteln, als manch konventionelle Dokumentation, bleibt aber natürlich auch immer ein wenig im Subjektiven verhaftet.

Episodisch und linear führt Anna Theil ihre Zuschauer von der ersten, unschuldigen Annäherung an den Westen bis hin zur Erfahrung von tiefer Schuld. Ihr Film zeigt die Freude über den ersten Jeansrock genauso wie den Ärger über die kapitalistische Vereinnahmung. STUMM ist ein überaus ehrliches Porträt der Protagonistin, die zwischen der Zuneigung zum Vater und dem Entsetzen vor einer möglichen, grausamen Tat schwankt. Darüber hinaus aber zeigt sie auf einer überpersönlichen Ebene, wie sehr Staat und Familie in der DDR verknüpft waren.

STUMM ist nach Ansicht der Jury ein außergewöhnlich gutes Beispiel zur Verbildlichung eines inneren Monologs. Der Film lässt die Hilflosigkeit des, bzw. der Einzelnen, angesichts eines so bedrückenden Sachverhalts begreifen und macht auch den Zwiespalt deutlich, der einer weitergehenden Recherche immer vorangestellt sein wird. Niemand kann wissen, was passiert, wenn die „Stasi-Büchse der Pandora“ einmal geöffnet wird, niemand kann ahnen, welche Abgründe sich innerhalb der Familie auftun können. Anderseits aber ist das Wissen vorhanden und das Verlangen nach Aufklärung wird auch nicht mehr vergehen.

Die Jury bewundert, mit welcher Leichtigkeit und Offenheit Anna Theil ein solch belastetes und belastendes Thema auf die Leinwand bringt. STUMM ist ihrer Meinung nach eine außergewöhnlich feine Arbeit von großer gesellschaftlicher Relevanz, für die die Jury einstimmig das Prädikat „besonders wertvoll“ verleihen möchte.