Sonnenplätze

Kinostart: 22.08.24
2023
Filmplakat: Sonnenplätze

FBW-Pressetext

Eine Patchwork-Familie versucht auf Lanzarote, nicht nur die Besitzverhältnisse des Urlaubsdomizils, sondern auch gegenseitige Befindlichkeiten zu ordnen. Das Langfilmdebüt von Aaron Arens ist junges deutsches Kino mit Intelligenz, Witz und Raffinesse.

Der Freund macht Schluss, die Verlegerin lehnt den ersten Roman ab, die einzig mögliche Bleibe ist das Haus der Mutter: Für Sam lief es auch schon mal besser. Also schnappt sie sich die Schlüssel zum Urlaubsdomizil der Familie auf Lanzarote und will dort die Seele erst einmal baumeln lassen. Doch genau das geht nicht, weil ihr nicht nur der Bruder folgt, sondern auch die Mutter mit ihrem neuen jungen Lebensgefährten, den Sam noch aus der Schule kennt. Und als dann auch noch Sams Vater auftaucht, einst ein gefeierter Schriftsteller, nun ein in den Tag lebender Dauerurlauber, ist alles bereit für ein Familiendrama der Extraklasse. Aber wenigstens mit Sonne, Strand und gutem Essen..

SONNENPLÄTZE, das Langfilmdebüt von Aaron Arens, strahlt in jeder Minute eine ungeheure Energie aus, und das ganz ohne klassische Urlaubspanorama-Aufnahmen. Das liegt zum einen an den scharfsinnigen, von Witz und Esprit strotzenden Dialogen, die die Sätze wie kleine verbale Giftpfeile hin- und herfliegen lassen. Und zum anderen an dem grandiosen Ensemble, welches im Zusammenspiel einfach nur herrlich miteinander harmoniert. Juliane Köhler als Mutter und Niels Borman als Vater sind auf unterhaltsame Weise verstrickt in einen sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot gönnenden, passiv-aggressiven Rosenkrieg. Und Julia Windischbauer als Sam sowie Jeremias Meyer als ihr Bruder Frederick verkörpern auf überzeugende und für das Publikum nachvollziehbare Weise eine Vertreterin und einen Vertreter der Generation Z, die über dem stetigen, aber nie wirklich ausgesprochenen Druck der Eltern, etwas Besonderes zu sein oder zu tun, nur scheitern können. Das Drehbuch, co-verfasst von Aaron Arens und Lukas Loose, wartet immer wieder mit überraschenden kleinen Twists auf und entwickelt vielschichtige Figuren mit Ecken und Kanten, denen man gerne folgt, auch wenn sie alle ihre unsympathischen Momente haben. Dazu wirkt die von der Kamera kongenial eingefangene karge Landschaft von Lanzarote wie der perfekte Nährboden für diesen tragikomischen und herrlich erfrischenden Film, bei der am Ende sogar einer Wachtel eine entscheidende Nebenrolle zukommt.

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

In Aaron Arens‘ Spielfilmdebüt SONNENPLÄTZE sind der Jury gleich besonders viele künstlerisch und erzählerisch besonders wertvolle Aspekte aufgefallen. Das beginnt schon damit, dass die Geschichte selbst kunstvoll konstruiert ist, dabei auf den Zuschauer natürlich wirkt. Diese Stärke gewinnt diese Tragikomödie – mit einem Schwerpunkt auf Komödie – durch eine differenzierte Figurenzeichnung, wie sie in der deutschen Komödienlandschaft selten ist. Alle haben in dieser psychologischen Familienstudie Stärken und Schwächen aus Verletzungen und Prägungen gezogen, für sich und andere.
Spannend werden im Lauf des Filmes all diese Aspekte und Abgründe komplett offengelegt. Doch alle bleiben in einem verbindenden Netz zueinander, was dem Film die Ehrlichkeit gibt, das Dysfunktionale und Zentrifugale von Familien und ihre Geborgenheit gebende Wärme gleichzeitig zu zeigen. Das ist die intelligente Versöhnlichkeit des Films, ohne jemals zu verharmlosen oder zu verkitschen. Die Familienbande und eine humane Solidarität halten selbst nach Scheidung und Scheitern, dem Aufdecken von Lebenslügen und Familientabus und komplizierten Neuanfängen.
Dramaturgisch gelingt es Arens bei alledem nicht effekthascherisch dick aufzutragen, aber intensiv zu bleiben.
Die gelungene Grundlage aus Drehbuch (zusammen mit Lukas Loose) und Regie hätte mit einer falschen Besetzung noch schief gehen können. Aber mit Julia Windischbauer als junge Frau, die noch ihren Platz im Leben sucht, mit Jeremias Mayer, der als jüngerer Bruder, der den Familienwahnsinn am stärksten abbekommt und sich Abtauchtricks ausgedacht hat, gelingt eine große Glaubwürdigkeit. Dazu trägt auch der spürbare Verzicht der Schauspielerinnen und Schauspieler auf Eitelkeiten bei, so dass sich ein sehr ausgewogenes, gleichwertiges Ensemble ergibt. Diese durch alle Gewerke getragene Natürlichkeit bei aller intelligenten Konstruktion gelingt auch in den Dialogen, die sich durch Witz auszeichnen, ohne je albern oder witzelnd zu sein. Auch der Einsatz der Musik erschien der Jury stimmig und nie übertrieben und in seiner Funktion immer transparent - bis hin zum Schlager.
Raffiniert erschien der Jury auch die Dramaturgie in dem Sinne, dass der Zuschauer immer mehr über die einzelnen Figuren erfährt, über ihre Beziehungsproblematiken in der Vergangenheit: So ergibt sich eine permanente positiv aufregende Unruhe in der Sympathieverteilung. So kann am Ende sogar der allzu nett-smarte, viel jüngere Lebensgefährte (Jeremy Mockridge) der Hausherrin eine Großzügigkeit und Warmherzigkeit an den Tag legen. Selbst seine Berufsjugendlichkeit ist auf einmal stimmig und nicht mehr aufgesetzt. Auch die Mutter- und Frauenrolle (Juliane Koehler) wechselt geistreich zwischen ‚Drache‘ und ‚Heldin‘, die mit notwendigem Pragmatismus und vielleicht zu großer Dominanz alles zusammengehalten hat. Denn sie hat es mit einer Künstlerfamilie zu tun und deren Empfindlichkeiten, Neurosen und Sensibilitäten.
Einzig bei der Figur des Familienvaters (Niels Bormann) scheint diese Balance zugunsten einer Demontage aufgegeben worden zu sein, was vielleicht einem feministischen Zeitgeist und der Lust am Sturz klassischer männlicher Rollen und Helden geschuldet ist.
Die Jury entschied sich im Anschluss an eine spannende Diskussion, dem Film das Prädikat besonders wertvoll zu verleihen.