Solange Sie noch Arme haben

Kinostart: nkT
2019
Filmplakat: Solange Sie noch Arme haben

FBW-Pressetext

In ihrem Langfilmdebüt porträtiert die Filmemacherin Luisa Bäde den Puppenspieler Frank Karbstein, der mit Hilfe von Handpuppen seine eigene Biografie nachempfindet und von seiner Zeit in der ehemaligen DDR erzählt, als er in den 1980er Jahren wegen Verteilung von pazifistischen Flugblättern festgenommen wurde.

Zwei Menschen treffen sich in einem Studio. Um sie herum Kulissen. Und viele Puppen. Und mittendrin der Puppenspieler Frank Karbstein. Im Gespräch mit der Filmemacherin Luisa Bäde und im Spiel mit den Puppen erinnert er sich an seine eigene Geschichte in der ehemaligen DDR. In den 1980er Jahren werden er und seine Freunde und Gefährten wegen Verteilung von pazifistischen Flugblättern festgenommen. Nach der Verurteilung zu einer Haftstrafe bekommen die Angeklagten das Angebot, über den geheimen Freikauf politischer Häftlinge in den Westen zu gehen. Frank bleibt. Doch die Frage bleibt: Wer hat sie verraten? Die Filmemacherin Luisa Bäde wählt für ihr Langfilmdebüt einen ganz neuen Zugang zu ihrer Geschichte. Zusammen mit ihrem Team hat sie Frank Karbstein eine Bühne gebaut und die Menschen aus seinem Leben, einschließlich ihn selbst, als Handpuppen nachempfunden. Und was zunächst sehr viel Spielerisches hat, entwickelt sich, auch durch Bädes ruhige, sensible Art, die Geschehnisse zu dokumentieren, zu einem sehr berührenden Stück biografischer Aufarbeitung der Geschichte. Die Aussagen ehemaliger Freunde und Weggefährten lässt Bäde aus dem Off erklingen, sodass sie nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für Frank Karbstein neu und überraschend sind. Auf diese Weise gelingt Bäde ein ganz unmittelbare, nahe und direkte Dokumentation, die trotz der puppenspielerischen Momente immer menschlich und authentisch wirkt. Ein faszinierender, sehr origineller Film.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Luisa Bäde
Drehbuch:Luisa Bäde
Kamera:Jule Katinka Cramer; Hannah Platzer
Schnitt:Nicole Schmeier; Renan Laviano
Länge:93 Minuten
Kinostart:
Verleih:Kunsthochschule für Medien Köln
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln
Förderer:Kunsthochschule für Medien Köln

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Es gibt immer wieder andere, neue Wege, um eine Geschichte zu erzählen. Die Filmemacherin Luisa Bäde hat dem Puppenspieler Frank Karbstein im Studio eine Puppenbühne gebaut, komplett mit großen Handpuppen, die die wichtigsten Figuren seiner Lebensgeschichte personifizieren sollen. Sich selber als Puppe erkennt er im ersten Moment gar nicht, und Luisa Bäde hat auch diesen Schlüsselmoment mit der Kamera eingefangen. Frank Karbstein war in den 1980er Jahren in der DDR in der Friedensbewegung engagiert. Wegen der Verteilung von Flugblättern wurde er festgenommen, verurteilt und sollte freigekauft werden. Er weigerte sich aber und blieb in der DDR. Nach dem Mauerfall erfuhr er aus seinen Stasiakten, wer ihn damals als Stasiinformant verraten hatte. Diese bewegende Geschichte wird hier ganz ohne die in Dokumentarfilmen üblichen Stilmittel umgesetzt. Aus dem Off sind die Stimmen von einigen Zeitzeugen zu hören, und Karbstein reagiert vor der Kamera auf diese, offensichtlich für ihn neuen Aussagen. Vor allem spielt er aber mit den Puppen seine Geschichte nach. Er improvisiert dabei Dialoge aus der Erinnerung und verdichtet auf Kernsätze wie das für die Stasi typische „Wir müssen einen Sachverhalt klären“. Die Puppen sind jeweils den realen Charakteren nachempfunden, nur die Stasibeamten sind keine Individuen, sondern Schreckensgestalten mit jeweils einem einzigen riesigen Auge. Karbstein spielt die einzelnen Kapitel seiner Geschichte in verschiedenen minimalistischen Kulissen. Dabei wird auf seine Anregungen eingegangen. Wenn er beim Vernehmungszimmer der Stasi darauf beharrt, dass dort immer eine Schreibmaschine gestanden hat, dann wird dieses Requisit auch beschafft und eingesetzt. Und das Gespräch darüber wird ebenfalls im Film dokumentiert. Luisa Bäde zeigt immer auch die Mittel, mit denen sie arbeitet. So ist kurz auch das Filmteam im Bild und man sieht die Drehbühne, auf der die verschiedenen Kulissen aufgebaut wurden. Durch diese Verfremdungseffekte wird immer wieder deutlich gemacht, dass hier mit Erinnerungen gearbeitet wird. Es wird nicht, wie sonst in Dokumentarfilmen so oft, eine vermeintlich objektive Realität gezeigt, sondern stattdessen sieht man, wie Frank Karbstein mit seinen Erinnerungen und den Tondokumenten der anderen arbeitet und daraus seine eigene Geschichte baut. Der gesamte Aufbau des Films ist auf ihn und sein Metier zugeschnitten. Ein faszinierender, sehr origineller Film.