Shiny_Flakes:The Teenage Drug Lord

VÖ-Datum: 03.08.21
2021
Filmplakat: Shiny_Flakes:The Teenage Drug Lord

FBW-Pressetext

Inhalt: Der Film erzählt die wahre Geschichte, die als Inspiration für die erfolgreiche deutsche Netflix Original Serie HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST) diente. Im Februar 2015 wurde Maximilian Schmidt, im Netz bekannt als Shiny Flakes, verhaftet, nachdem er Drogen im Wert von ca. 4,1 Millionen Euro aus seinem Kinderzimmer heraus verkauft hatte. Der bei seiner Verhaftung 19-Jährige hatte seine eigene Website und die Deutsche Post genutzt, um ein internationales Drogenimperium im Alleingang zu betreiben - er verkaufte dabei in 14 Monaten ca. eine Tonne Drogen. Es handelt sich um einen der spektakulärsten Cybercrime-Fälle Deutschlands, die Polizei weiß bis heute nicht, wo der Großteil des Geldes steckt. In dieser Dokumentation erzählt Maximilian Schmidt seine Geschichte.

Bewertung: Um seine unglaubliche und doch wahre Geschichte zu erzählen, wählt der Film (Regie Eva Müller, Produktion, wie auch die Serie, bildundtonfabrik/btf) eine interessante Erzählanordnung. Nicht nur kann Maximilian Schmidt seine Geschichte im Interview wiedergeben – er wird sie im Rahmen des Filmes erneut „durchleben“. Dank sorgfältiger Recherche rekonstruieren Müller und ihr Team das Setting der Ereignisse von damals und lassen Schmidt in seinem nachgestellten Jugendzimmer agieren. Die Chats, die Logistik, die Transaktionen, ja sogar die Sicherstellung der Drogen durch die Polizei – mit entwaffnender Offenheit berichtet Maximilian, was er als damaliger Schüler getan hat und was ihm dabei im Kopf herumging. Als Protagonist wirkt er immer souverän und reflektiert. Doch der Film umgeht geschickt die Gefahr, Maximilian Schmidt als Idol oder als Held dastehen zu lassen. Zu trostlos sind seine aktuellen Lebensumstände, zu sehr entlarven ihn die dargestellten Ereignisse als gescheitertes Beispiel eines kriminellen „Jungunternehmers“. Ergänzt werden die Gespräche durch Interviews mit den verantwortlichen Ermittlern, seinem Strafverteidiger, einem Sachverständigen, der das psychologische Gutachten erstellt hat sowie Menschen aus seinem Umfeld. Die Regie hält sich zurück mit Kommentaren, nur einzelne Fragen sind so platziert, dass sie den Interviewten immer wieder aus seiner Deckung holen. Geschickt strickt der Film eine Spannungsdramaturgie, die bis zum Schluss überraschende Wendungen bereithält, die hier nicht verraten werden sollen – und die einen sprachlos zurücklassen. Auch filmisch zeigt das Team der btf auf allen Ebenen herausragendes handwerkliches Können: Die puristische Gestaltung der Interviewsettings, die dynamische Montage, die auch mal augenzwinkernd und mit gutem Timing Gespräche auf Pointe zusammenführt, der Umgang mit Original-Bilddokumenten, die sich nahtlos in die Geschichte einfügen, der stimmungsvolle Score und der nie abreißende Spannungsbogen, der die Zuschauer*innen bis zum Schluss bei der Stange hält.

Fazit: SHINY FLAKES – THE TEENAGE DRUG LORD erzählt in knapp neunzig Minuten eine unglaubliche und doch wahre Geschichte. Ein Dokumentarfilm, so spannend wie ein Krimi mit jeder Menge True-Crime-würdiger Plot-Twists. Nicht nur für Fans von HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST) ein absolutes Muss.
Prädikat besonders wertvoll

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Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Eva Müller; Michael Schmitt (Co-Regie)
Drehbuch:Eva Müller
Kamera:Nicolai Mehring
Schnitt:Yana Höhnerbach; Florian Böttger; Julian Schleef (Head of Graphics and VFX)
Musik:Thomas Binar
Weblinks:fbw-filmbewertung.com;
Länge:90 Minuten
VÖ-Datum:03.08.2021
Verleih:Netflix
Produktion: btf GmbH, Matthias Murmann & Philipp Käßbohrer (Executive Producer)

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Es kann schlimm danebengehen, wenn ein Dokumentarfilm versucht, einen Spielfilm zumindest in Teilen zu kopieren. Bei SHINY FLAKES ist das nicht nur geglückt, sondern sogar glücklich gewählt. Nicht unähnlich der Eingangssequenz von HOW TO SELL DRUGS ONLINE FAST beginnt Internet-Großdealer Maximilian Schmidt gleich zu Anfang der Doku seine Geschichte zu erzählen. Er berichtet, was ihn bewogen hat, Drogen über das Internet zu verkaufen und wie es ihm damit ergangen ist. Die Ähnlichkeit ist gewollt, denn Schmidts Geschichte war Vorlage der erfolgreichen Netflix-Serie HOW TO SELL DRUGS ONLINE (FAST).

Zwei Jahre lang hat Maximilian Schmidt aus seinem Kinderzimmer heraus Drogen an Kunden der ganzen Welt verkauft und weder seiner Mutter noch den Ermittlungsbehörden ist das aufgefallen. Das klingt genauso erstaunlich wie absurd und rückt die Dimension dieser Tat in ein besonderes Licht. Bis heute bereut Maximilian Schmidt nichts. Vielmehr noch sind seinen Worten hin und wieder sogar Momente der Verachtung für die Polizei, für seine Kunden und später auch für seine Mithäftlinge zu entnehmen. Sein Motto: Warum denn nicht? - „Wenn die es nicht von mir bekommen hätten, dann von jemand anders.“

Auch wenn Streaming-Anbieter Netflix mit SHINY FLAKES sicherlich auf ein Young-Adult-Publikum zielt, wirkt das Tempo des Films eher ruhig. In der Diskussion hat sich gezeigt, dass die Dokumentation auch ohne Kenntnis der Serie fasziniert, wenngleich einigen Juroren die aufwendige Rekonstruktion von Maximilian Schmidts Jugendzimmer ein wenig zu konstruiert erscheint. Andererseits aber, und auch das hat sich aus der Diskussion ergeben, handelt es sich bei Schmidts Straftat zumindest zu einem großen Teil um ein virtuelles Verbrechen. Für die Filmproduktion bedeutet das aber, dass es einer großen Portion Mut und eines nicht unerheblichen Quantums Fantasie bedarf, um aus den Fakten einen genauso inhaltlich wie auch visuell ansprechenden Dokumentarfilm zu machen.

Das Team um Drehbuchautorin und Regisseurin Eva Müller musste sich einiges einfallen lassen, wollte es nicht dem hilflosen Weg einer Dokumentation folgen, die einen Schauspieler die Rolle Schmidts hat spielen lassen. Da als Quelle lediglich Prozessakten und Angaben von Ermittlungsbehörden, Anwalt, Psychologen und vor allem der geständige Maximilian Schmidts selbst dienen können, mangelt es schlichtweg an ansprechenden Motiven. Müller hat aus der Materialnot eine Tugend gemacht, sich intensiv um den Täter gekümmert und dessen durchaus selbstdarstellerische Aussagen und Behauptungen clever mit denen der Ermittler geschnitten.

Dadurch hat sie nicht nur das Katz-und-Maus-Spiel Schmidts und der Polizei clever durchleuchten können, sondern darüber hinaus auch persönliche Momente und Verstörungen auf beiden Seiten zugänglich gemacht, immer wieder die mitunter heroischen Selbstinszenierung mit quasi intrinsischen Mitteln geprüft und auch den Versuch unternommen, Einblicke in die Persönlichkeit der Interviewpartner zu erlangen. So wichtig die Nähe zum Täter für den Film auch ist, sie birgt erhebliche Risiken. Und so gehört die zu geringe Hinterfragung von Maximilian Schmidts Eigenmarketing zu den wenigen kritischen Eindrücken der Jury. Ein wenig fehlte ihr der entscheidende Moment, der zeigt, dass es Maximilian Schmidt schlichtweg und vielleicht sogar pathologisch an sozialer Kompetenz mangelt. Immerhin hat er als Online-Akteur fast alle Fäden in der Hand, in der realen Welt scheint er dagegen nur wenig darzustellen.

Sehr erfreulich fand die Jury dagegen, dass für die Interviewparts ein im Prinzip wiederkehrendes Setting genutzt wurde: Fenster, Schreibtisch, Bürostuhl, Ansprechpartner. Das bietet den Zuschauern einen visuellen Orientierungsrahmen innerhalb der höchst unterschiedlichen, filmischen Sequenzen. Ähnlich wohltuend empfand die Jury auch, dass SHINY_FLAKESausdrücklich auf die sattsam bekannten Film-Images zur Internetkriminalität verzichtet. Die seit dem ersten MATRIX Film leidlich bekannten, fließenden, grünen Zeichen haben sich mittlerweile abgenutzt.

SHINY_FLAKES zeigt einige Facetten der Persönlichkeit Maximilian Schmidts, lässt Menschen, die ihn kennen, zu Wort kommen und auch seinen psychiatrischen Gutachter. Und auch wenn Maximilian Schmidt an keiner Stelle als ansprechender Charakter gezeichnet ist, hat die Jury mit Erstaunen auf ihre sich ändernde Haltung ihm gegenüber geachtet. Dennoch gibt die Person des Maximilian Schmidt bis zum überraschenden Schluss Rätsel auf, die aus dem zugänglichen Material heraus wohl auch nicht gelöst werden können.

SHINY_FLAKES ist eine beeindruckende, gut gemachte Dokumentation über das erstaunliche Verbrechen eines schwer fassbaren Menschen. Der Film schafft es, schwer zugängliche Sachverhalte erhellend und leicht verständlich zu vermitteln, ohne jemals belehrend oder gar dröge und reizlos zu sein. Trotz, oder vielleicht gerade wegen einiger nicht beantworteter Fragen, hat sich die Jury tatsächlich gut informiert und sehr unterhalten gefühlt.