She Said
FBW-Pressetext
Maria Schraders packende Story über investigativen Journalismus, der die Aufdeckung des Missbrauchsskandals rund um den Hollywoodmogul Harvey Weinstein thematisiert, ist bis zum Schluss fesselndes Erzählkino.Seit den 1990er Jahren gehört der Filmproduzent Harvey Weinstein zu den einflussreichsten Playern im Business. Viele Stars wollen mit ihm arbeiten, sich in seinem Glanz sonnen. Und viele Frauen wünschten sich, ihn niemals getroffen zu haben. Denn Weinstein nutzt seine Macht, um Frauen sexuell zu bedrängen und zu missbrauchen. Ein offenes Geheimnis, über das zu viele geschwiegen haben. Bis im Jahr 2017 eine Schauspielerin den Anfang macht und Weinstein anzeigt. Und zwei Journalistinnen der New York Times – Megan Twohey und Jodi Kantor – sich auf die Suche nach weiteren Opfern Weinsteins machen. Um nicht nur einen Mann zur Rechenschaft zu ziehen, sondern ein ganzes System ins Wanken zu bringen.
Der neue Film in der Regie von Maria Schrader (Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz) erzählt die Geschichte einer langen Suche nach Gerechtigkeit. Über die gesamten 128 Minuten Lauflänge schaut man atemlos gebannt zu, wie die Hartnäckigkeit und Qualität echter journalistischer Arbeit (hochverdient ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis) dazu führt, dass eine bis dahin unumstößliche Macht zum Einsturz gebracht wird. Dabei ist es für die Macher:innen eine große Herausforderung, die journalistische Tätigkeit, die von Telefonaten, Computersessions und langen Gesprächen mit den Opfern sexueller Gewalt geprägt ist, auch filmisch spannend zu inszenieren. Schrader und ihre Kamerafrau Natasha Braier lassen sich dabei ganz auf das elektrisierend intensive Spiel ihrer großartigen Hauptdarstellerinnen Carey Mulligan und Zoe Kazan ein, die, unterstützt von authentischen Dialogen, in ihren Rollen aufgehen und trotz individuellem Spiel auch glaubhaft verkörpern, dass sie zusammen stärker sind als allein. Zusammen mit den Opfern – allen voran Jennifer Ehle in der Rolle der Laura und Ashley Judd, die sich als Betroffene selbst spielt – bilden diese Frauen wahrhaft Banden. Schrader und Lenkiewicz tauchen einfühlsam in die Geschichten ihrer Figuren ein, auch das Private und Familiäre der Journalistinnen finden ihren Platz, doch wird dies nie in dramatischer Konkurrenz zum Berufsleben gesehen. Die Geschichten der Opfer werden im Detail geschildert und in Flashbacks angedeutet, dabei setzen Regie und Buch nicht auf explizite, schockierende Bilder, sondern auf die eindringliche Wirkung der Schilderungen selbst. SHE SAID bereitet als Journalistendrama die Ereignisse minutiös auf, zeigt ein genaues Gespür für Timing und verpackt die Empathie für die Opfer, denen Twohey und Kantor eine Stimme gegeben haben, nie in überdramatisiertes Pathos. Besser, packender und genauer kann man eine wahre Geschichte nicht fürs Kino erzählen.
Filminfos
Gattung: | Drama; Spielfilm |
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Regie: | Maria Schrader |
Darsteller: | Carey Mulligan; Zoe Kazan; Samantha Morton; Patricia Clarkson; Adam Shapiro; u.v.a. |
Drehbuch: | Rebecca Lenkiewicz |
Buchvorlage: | Jodi Kantor; Megan Twohey |
Kamera: | Natasha Braier |
Schnitt: | Hansjörg Weißbrich |
Musik: | Nicholas Britell |
Webseite: | upig.de; |
Jugend Filmjury: | Lesen Sie auch, was die Jugend Filmjury zu diesem Film sagt... |
Länge: | 129 Minuten |
Kinostart: | 08.12.2022 |
Verleih: | Universal |
Produktion: | Annapurna Pictures, Plan B Entertainment; Universal Pictures; |
FSK: | 12 |
Jury-Begründung
Es gibt zu jeder Zeit Filme, die sich mit dem Oberthema Journalismus auseinandersetzen, die aus dem Stand heraus zu prägenden Werken ihrer Zeit werden. Im Jahre 1976 war dies Alan J. Pakulas DIE UNBESTECHLICHEN / ALL THE PRESIDENT’S MEN mit Dustin Hoffman und Robert Redford in den Hauptrollen, im Jahre 2022 setzt Maria Schrader mit SHE SAID bei ihrer ersten Arbeit in den USA ein ähnliches Schlaglicht auf eine öffentliche Affäre und deren akribische journalistische Aufarbeitung.Ähnlich wie Pakulas Film liegt auch diesem aktuellen Schlüsselwerk über die Macht und Wichtigkeit der vierten Gewalt ein wahrer Fall zugrunde, der die Welt erschütterte und ein längst überfälliges Umdenken in Gang setzte. Maria Schraders atemloses und zugleich bedächtiges Drama nimmt den 2017 erschienen Enthüllungsartikel von Megan Twohey und Jodi Kantor in der New York Times sowie das daraus resultierende Buch „She Said - Breaking the Sexual Harassment Story That Helped Ignite the Movement“ als Grundlage. Davon ausgehend zeichnet der Film mit großer Einfühlsamkeit und Genauigkeit den steinigen Weg nach, den die beiden Journalistinnen gemeinsam mit der Redaktion ihrer Zeitung auf sich nahmen, um den ersten Gerüchten um sexuelle Belästigung und Übergriffe des mächtigen Produzenten Harvey Weinstein nachzugehen.
Wer die Regiearbeiten von Maria Schrader kennt, kommt nicht umhin, ihrer Fähigkeit höchste Anerkennung zu zollen, sich und ihre Filmsprache von Film zu Film und dem jeweiligen Thema und Inhalt angemessen gegebenenfalls neu zu erfinden. Waren es bei ihrem vorherigen Spielfilm ICH BIN DEIN MENSCH noch vorwiegend exzentrische und überaus artifizielle Tableaus, mit denen die Regisseurin arbeitete, so arbeitet sie hier viel enger an der Gegenwart orientiert, zeigt den mitunter mühsamen Werg der Recherchen, der Holz- und Irrwege, der Redaktionssitzungen und Einschüchterungsversuche, die ein diffuses Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung erzeugen, zugleich aber vieles im Ungefähren belassen und so einen wirkungsvollen Spannungsbogen erzeugen. Auch die beiden Hauptdarsteller*innen Carey Mulligan und Zoe Kazan stellen sich wie der gesamte Cast ganz in den Dienst der Sache und agieren überaus zurückhaltend. So sorgen sie für ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, wenn sie im Film mehrmals betonen, dass die vor allem den Opfern der nicht bloß individuellen, sondern auch systemimmanenten Gewalt im Filmbusiness eine Stimme verschaffen wollen.
Zugleich kommt SHE SAID zu einer Zeit in die Kinos, in der Fake News, Propaganda und ein großes Misstrauen gegen die Arbeit seriöser Medien scheinbar in Mode gekommen und gesellschaftlich akzeptabel geworden zu sein scheint. Umso wichtiger ist dieser Film, der die Ernsthaftigkeit investigativer Arbeit, die Quellen vielfach absichert und die sich gänzlich uneitel in den Dienst der richtigen Sache stellt, in den Mittelpunkt stellt, ohne die Protagonist*innen auf einen Sockel zu heben, Tätern wie Weinstein allzu viel Screen Time zu gewähren und damit die Opfer aus dem Auge zu verlieren. Dass mit Ashely Judd eines der Opfer Weinsteins als sie selbst in den Film auftaucht, wäre zwar nicht unbedingt nötig gewesen um dessen Anliegen zu untermauern, andererseits zeugt dieser Auftritt davon, wie präzise und einfühlsam Maria Schrader und ihre Mitstreiter:innen hier zu Werke gingen. Eine Haltung, die auf jeder Ebene höchsten Respekt verdient.
Mit großer Einmütigkeit erteilte die Jury der FBW diesem wichtigen Film das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.