Sensitive Content
FBW-Pressetext
Das Bild ist zunächst verschwommen. Man erkennt keine Umrisse, keine Gesichter. Aber man hört die Schreie, die Proteste. Und man spürt die Gewalt, während das kleine Auge im Zentrum des Bildes durchgestrichen ist. Denn immerhin handelt es sich ja hier um „Sensitive Content“, um sensible Inhalte. Auf einmal wird das Bild klar und man sieht, was vor sich geht. Menschen, die sich gegen die Restriktionen des Staates wehren. Viele Handyvideos zeigen Menschen im Iran, die mit roher Gewalt unterdrückt werden und trotzdem für Menschenrechte, Gleichheit und Gerechtigkeit kämpfen. Die Welt ist Zeuge dieses Protests und schaut zu. Mit offenen Augen. Auch wenn manche Bilder durch die Zensur der sozialen Netzwerke verschwommen bleiben. Der experimentelle Kurzfilm SENSITIVE CONTENT von Narges Kalhor nutzt die unzähligen Handyvideos von Iraner:innen als Found Footage und setzt sie in einer klug konzeptionierten Montage zu einem tief bewegenden und brisantem filmischen Dokument zusammen. Das Verschwimmen der Bilder und der lange Fokus auf die Tonebene setzt in den Zuschauenden ein Kopfkino in Gang, das sich auch aus der kollektiven Erinnerung einer medialen Berichterstattung speist. Dass die rohe Gewalt, die die Polizei ausübt, sich oft gegen wehrlose Menschen richtet, deren einziges Verbrechen darin besteht, Gerechtigkeit einzufordern, vermittelt sich durch die Originalaufnahmen unmittelbar und macht noch einmal die unfassbare Resilienz und Tapferkeit gerade auch der jungen Iraner:innen deutlich. SENSITIVE CONTENT ist ein hochaktuelles und wichtiges filmisches Zeitdokument, das uns daran erinnert, nicht die Augen vor dem zu verschließen, war auf der Welt passiert.Filminfos
Gattung: | Experimentalfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Narges Kalhor |
Kamera: | Found Footage |
Schnitt: | Narges Kalhor |
Musik: | Philipp Hutter |
Länge: | 8 Minuten |
Produktion: | Oasys Digital GmbH |
Jury-Begründung
Das Wichtigste bei Protesten gegen tyrannische politische Regime ist, dass sie sichtbar gemacht werden. Und diese Aufgabe leistet Narges Kalhor in ihrem Kurzfilm SENSITIVE CONTENT, indem sie Handyaufnahmen zeigt, die von Teilnehmer:innen an Protestaktionen im Iran aufgenommen wurden. Diese Augenzeug:innen haben ihre Aufnahmen unter Gefahr für die eigene Gesundheit und das eigene Leben gemacht, denn die iranischen Polizeikräfte machen inzwischen nicht nur Jagd auf die Demonstrant:innen, sondern auch auf jene, die ihre Aktionen mit ihren Handys dokumentieren. In diesem Sinne sieht Narges Kalhor sich als eine Vermittlerin, die diese Bilder, in denen zu sehen und zu hören ist, mit welcher Gewalt gegen die Protestierenden vorgegangen wird, möglichst vielen Menschen zugänglich machen will. Und so ist ihr Film selbst auch ein Teil dieses Kampfes für bürgerliche Freiheiten in dem islamistischen Staat.Zum größten Teil besteht ihr Film aus dem Found Footage dieser Handyaufnahmen, die auf verschiedene digitale Plattformen hochgeladen und so aus dem Iran „geschmuggelt“ wurden. Sie selbst hat als ein eigenes Gestaltungsmittel das Piktogramm von einem offenen Auge gewählt, das zum Teil durchstrichen wird, denn Bilder mit „sensitive content“ werden von westlichen Social Media-Plattformen zensiert und gesperrt. Dieses minimalistische grafische Zeichen steht symbolisch dafür, dass hier Dokumente von Augenzeugen gezeigt werden, und ebenfalls dafür, wie gefährlich es war, diese Aufnahmen zu machen, den viele Menschen haben durch die brutale Gewalt ein Auge verloren oder sie erblindeten.
Dass Narges Kalhor mit ihrem Experimentalfilm auch ein Kunstwerk geschaffen hat, kommt neben der politischen Brisanz und dem dokumentarischen Wert dieser Bilder noch hinzu. Die iranische Filmemacherin hat sich genau überlegt, welche Bilder und Töne sie in welcher Form präsentiert, und in diesem Sinne bilden Form und Inhalt in SENSITIVE CONTENT eine gestalterisch überzeugende Einheit. So arbeitet Kalhor mit Schwarzfilm um das, was man hört, so besonders eindrücklich wirken zu lassen. So hört man in diesen Tondokumenten die Angst und das Entsetzen in den Stimmen der Protestierenden angesichts der Gewalttaten der Polizeikräfte. Kalhor arbeitet auch mit Aussparungen, indem sie keine Bilder von Gewalttaten zeigt, vor allem aber nie die Gesichter der Personen, dass diese aus ihrer Anonymität gerissen und so der Verfolgung durch das Regime ausgeliefert werden. Politische und ästhetische Entscheidungen der Filmemacherin sind hier untrennbar miteinander verbunden, und so ist Narges Kalhors Film zugleich gelungenes Filmkunstwerk und ein wichtiger Teil des Freiheitskampfs im Iran. Mit diesem Eindruck vergibt die Jury das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.