Rose
FBW-Pressetext
Als Rose ihren Mann Anfang der 1960er Jahre kennenlernte, wollte sie ihn gar nicht. Sie fand es unangenehm, von ihm geküsst zu werden, fühlte sich nicht zu ihm hingezogen. Und doch heirateten sie und bekamen zwei Söhne. Als ihr Mann sie schlug, schwieg sie, suchte die Schuld bei sich selbst, tat alles, um ihre Kinder zu schützen, gab nach Außen vor, alles wäre in Ordnung. Als es aber gar nicht mehr ging und die Situation zu eskalieren drohte, ließ sie sich scheiden. Über das, was sie erleiden musste, hat sie nie gesprochen. Bis ihre Enkelin sie dazu befragte. Und einen Film darüber machte. Annika Mayer nutzt für ihren Kurzdokumentarfilm über ihre Großmutter die Heimvideos der Familie und lässt Rose die heimelig-heilen 8-mm-Bilder aus dem Off kommentieren. Der Opa beim Picknick, beim Spiel mit den Kindern, Rose, die in der Sonne sitzt, ein Eis isst – und dazu die ruhige Stimme einer Frau, die von schrecklichen Erlebnissen häuslicher Gewalt erzählt. Diese Bild-Ton-Schere ist es, die ROSE zu einem eindringlichen Zeugnis einer Situation macht, die so viele Frauen erdulden mussten und immer noch müssen. Dazu ist ROSE auch ein Sittengemälde einer bürgerlichen Gesellschaft, die alles sah, aber nie richtig hinsah. Dass Rose mit der Scheidung einen Weg aus ihrem Martyrium gefunden hat, setzt einen kämpferisch-inspirierenden Schlusspunkt an einen Film, der auf vielen Ebenen beeindruckt und aufrüttelt.Filminfos
Gattung: | Dokumentarfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Annika Mayer |
Drehbuch: | Annika Mayer |
Kamera: | Jakob Krese |
Schnitt: | Annika Mayer; Federico Neri |
Musik: | Gaston Ibarroule |
Länge: | 18 Minuten |
Produktion: | Majmun Films Weidner Jakob und Mayer Annika GbR Annika Mayer |
FSK: | 12 |
Förderer: | BKM |
Jury-Begründung
Regisseurin Annika Mayer widmet sich in ihrem dokumentarischen Porträt ROSE ihrer gleichnamigen Großmutter und schafft Zugang zu einem vielschichtigen und emotional bewegenden Thema, das sowohl historisch als leider auch hochaktuell ist: Der Film beleuchtet eine gebrochene Familienidylle und schildert exemplarisch die Gewalterfahrung einer Frau.Im Zentrum stehen das Leben und die Ehe von Rose, die jahrelang von ihrem Mann bedroht und misshandelt wurde. Durch die Thematisierung von Geschlechterrollen, häuslicher Gewalt und Alkohol wird eine individuelle Geschichte erzählt, die zugleich eine universelle Strahlkraft entfaltet. Dabei gelingt es der Regisseurin, die Doppelbödigkeit von Erinnerungen sichtbar zu machen: Collagenartige Familienbilder aus dem Archiv der Regisseurin zeigen eine nach außen intakte Welt – Urlaube, Feste, harmonische Momente – doch darunter lauert eine andere Wahrheit. Diese entfaltet sich Stück für Stück und mündet schließlich in einer eindringlichen Emanzipationsgeschichte.
Filmisch unaufgeregt, jedoch inhaltlich vielschichtig verleiht die Ästhetik des Originalmaterials, 8mm-Filme aus einer Zeit, in der Bilder rar waren, dem Werk eine zusätzliche Ebene. Ergänzt wird dies durch die Interview-Situation mit der Großmutter, deren lakonische Stimme als Erzählerin die Geschichte prägt. Annika Mayer bleibt dabei konsequent in der Perspektive ihrer Großmutter und verzichtet auf eine Interpretation oder Relativierung durch die Einbeziehung der Sichtweise des gewalttätigen Großvaters. Diese Haltung verleiht dem Film eine hohe Glaubwürdigkeit und verstärkt seine Wucht.
Ein zentrales Thema des Films ist die emotionale Verkrüppelung der Männer der Kriegs-Generation und die passive Rolle der Zuschauenden, verkörpert etwa durch die teilnahmslose Nachbarin. Diese Beobachtungen werfen universelle Fragen auf und halten dem Publikum einen Spiegel vor: Welche Rolle spielen wir selbst nach außen in der Gesellschaft und innerhalb unserer Familien?
ROSE nimmt uns mit auf eine persönliche Reise, die durch ihre Vielschichtigkeit und erschreckende Aktualität besticht. Der Film ist nicht nur ein bewegendes Porträt, sondern regt zugleich zur Reflexion über eigene Rollenbilder und familiäre Strukturen an.
Die Jury vergibt einstimmig das höchste Prädikat „besonders wertvoll“.