Reise nach Jerusalem
FBW-Pressetext
Eva Löbau brilliert in dem Debütspielfilm REISE NACH JERUSALEM als Arbeitslose Alice, der die Unterstützung gestrichen wird und die dennoch vor Familie und Freunden ihre Lebenslüge aufrechterhält.Alice ist 39 Jahre alt und arbeitslos. Ihre feste Stelle als Texterin hat sie schon vor Monaten verloren, als Freie bekommt sie keine Aufträge und das Jobcenter unterbreitet ihr nur stumpfsinnige Umschulungsvorschläge und Bewerbungskurse, die so gar nicht hilfreich sind für die vielen erfolglosen Bewerbungsschreiben. Als sie eine der Jobcenter-Maßnahmen abbricht, wird ihre Unterstützung gekürzt und Alice geht das Geld aus. Doch um ihre Eltern oder Freunde um Hilfe zu bitten, ist sie zu stolz. Immer stärker verstrickt sie sich in ein Netz aus Notlügen, aus dem sie sich nicht mehr befreien kann. Und schon bald fühlt sich ihr Leben an wie ein endloser Kampf gegen Windmühlen um ein kleines bisschen Glück und Erfolg. Oder um eine einzige Packung Schokokekse. Der Debütspielfilm von Lucia Chiarla wird getragen von der Präsenz und Leistung Eva Löbaus. In jeder einzelnen Szene des Films ist Löbau anwesend und spielt die sich nach unten drehende Verzweiflungsspirale von Alice glaubwürdig und bisweilen schmerzhaft nachvollziehbar. Geschickt fangen Chiarla und ihr Kameramann Ralph Noack in scheinbar beiläugigen Bildausschnitten das Gesicht von Alice ein, zeigen ihre um Fassung und gute Laune bemühte Mimik und die traurigen, fast vor Verzweiflung und Panik schreienden Blicke. Die einzelnen Sequenzen im Job-Center, bei der Weiterbildung oder den alltäglichen Begegnungen in Berlin wirken durch eine unaufgeregte Erzählweise fast schon dokumentarisch. Dies lässt REISE NACH JERUSALEM zu mehr werden als „nur“ einem exzellent gespieltem Drama. Lucia Chiarla entwirft ein authentisches Zeit- und Gesellschaftsbild und zeigt Alice als eine von vielen Menschen, die in der Großstadt, in der immer was passiert, verlorengehen, weil sie den Anschluss zu diesem Leben nicht mehr haben. Und dennoch lässt Chiarla ihren tragikomischen Film mit der leisen Hoffnung enden, dass es für Alice wieder bergauf gehen kann. Weil es manchmal reicht, sich für einen Abend wie die Königin eines legendären Kinderspiels zu fühlen. Und wer weiß schon, wo die Reise nach Jerusalem als nächstes hinführt? Ein Film nah am Leben, konsequent, hart und doch mit viel Wärme und Liebe zu seiner Hauptfigur erzählt.
Filminfos
Gattung: | Spielfilm; Tragikomödie |
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Regie: | Lucia Chiarla |
Darsteller: | Eva Löbau; Beniamino Brogi; Veronika Nowag-Jones; Axel Werner; Julia Sophie Mink |
Drehbuch: | Lucia Chiarla |
Kamera: | Ralph Noack |
Schnitt: | Tobias Vethake |
Musik: | Aletta von Vietinghoff |
Webseite: | filmreisenachjerusalem.com; |
Länge: | 119 Minuten |
Kinostart: | 15.11.2018 |
VÖ-Datum: | 17.05.2019 |
Verleih: | Filmperlen |
Produktion: | Kess Film , Camelot Broadcast Services; Schiwago Film; |
FSK: | 0 |
Förderer: | BKM; FFF Bayern |
Jury-Begründung
REISE NACH JERUSALEM bezieht sich auf ein Spiel, bei dem die Mitspieler zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein müssen, um einen rettenden Stuhl zu besetzen. Es ist eine Mischung aus Glücksspiel und Geschicklichkeit, die auch im urbanen Leben von existenzieller Bedeutung sein kann. Der gleichnamige Spielfilm von Lucia Chiarla zeichnet ein authentisches Bild der „Generation Praktikum“ in Berlin. Bei der Protagonistin Alice handelt es sich um eine Vertreterin des studierten Präkariats, die von der Gesellschaft fallen gelassen wird.Die Geisteswissenschaftlerin Alice (Eva Löbau), 39 Jahre alt, Single und arbeitslos, ist in einer Existenzkrise. Sie fristet ihre Tage mit dem Erstellen von Bewerbungen, die immer wieder abgelehnt werden. Das Jobcenter schickt sie zu Bewerbungstrainings, die zur Bedingung weiterer Unterstützung werden, nie aber den ersehnten Erfolg bringen. Als sie die Maßnahme daher abbricht, werden ihre Leistungen gekürzt und sie gerät in Geldnot. Ihre Eltern und Freunde verstehen nicht, wie schlecht es um Alice steht, denn sie lügt, um nicht im Ansehen zu sinken. Trotz ihrer verzweifelten Suche nach Kontakt vereinsamt sie immer mehr, denn sie kann mit ihrem Umfeld nicht mehr mithalten.
Lucia Chiarla präsentiert mit ihrem Film ihre erste Langfilm-Regiearbeit. Was als Tragikomödie beginnt, entwickelt sich zum desillusionierenden Sozialdrama. Die glaubhaft realistische Inszenierung, die jedoch filmische Ästhetik gezielt Preis gibt, unterstreicht diese wachsende Tristesse. Im Verlauf fehlen dem Film dadurch leider zunehmend Wendungen und Befreiungsmomente, denn in ihrem Kampf ist nahezu keine Entwicklung der Protagonistin festzustellen. Es gibt Momente der Gegenwehr, der Abgrenzung, der möglichen Emanzipation, die jedoch nicht weiterführen. Visuell spröde, mangelt es dem Berlin-Film an manchen Stellen an visueller Dichte. Nach der Hälfte tritt eine enorme Erschöpfung ein. Das ist bei einer relativ langen Laufzeit von 120 Minuten durchaus relevant.
Zugleich ist REISE NACH JERUSALEM ein mit großer Eindringlichkeit geschildertes Frauenschicksal. Hauptdarstellerin Eva Löbau trägt den Film mit ihrer intensiven Leistung, die enorme Einfühlung ermöglicht. Was der Titel metaphorisch vorgibt, wird am Ende allerdings überzeugend eingelöst, wenn das kurze Roadmovie von Alice‘ Stadtflucht in einem Gasthaus endet, wo sie zur Königin des Reisespiel gekrönt wird.
REISE NACH JERUSALEM ist trotz seiner formalen und dramaturgischen Einschränkungen zweifelsohne ein überzeugendes Zeit- und Gesellschaftsbild der gegenwärtigen urbanen Gesellschaft in Deutschland mit einer eindrucksvollen Hauptdarstellerin. Und grundsätzlich könnte man den Film auch einem neuen deutschen Realismus zurechnen.