Oppenheimer
FBW-Pressetext
Nolans neuer Film ist pures Überwältigungskino in wahrer Perfektion.Im Jahr 1954 sitzt Julius Robert Oppenheimer vor einem Befragungsausschuss. Dieser muss entscheiden, ob der Wissenschaftler, der neun Jahre zuvor mit seinem Team die Atombombe entwickelt hat, noch eine Sicherheitsfreigabe für geheime Regierungsdokumente erhalten darf. Von den USA einst für seine Erfindung gefeiert, steht er nun unter dem Verdacht staatsfeindlicher Verschwörungen. Zu kämpfen hat Oppenheimer jedoch mehr mit sich und seinen inneren Dämonen. Denn so wie Prometheus, der einst das Feuer zu den Menschen brachte, war auch Oppenheimer nicht in der Lage, abzusehen, was sein Schaffen für Konsequenzen mit sich führte.
Der neue Film von Christopher Nolan ist in jeder der insgesamt 180 Minuten Lauflänge pures Überwältigungskino. Bereits der Einstieg, ein Montage-Wirbelwind durch Oppenheimers frühe Forscherjahre, zeigt auf beeindruckende Weise Nolans audiovisuelles und inszenatorisches Gesamtkonzept. Die Bilder, in deren Zentrum fast immer Oppenheimer selbst steht, sind in perfekter Symmetrie komponiert und werden gekoppelt mit einem infernalischen Score (komponiert von Ludwig Göransson), in dem sich orchestrale Musik mit eingebauten Soundelementen wie einer Warnsirene, einem Geigerzähler oder einem Countdown vermischen. Das wirkt ebenso eindringlich wie Nolans Erzählstruktur, die durch das kongeniale Editing maximal verrätselt zwischen den in Farbe und in Schwarz/Weiß gehaltenen Zeitebenen wandelt. Der herausragende Cast wird angeführt von Robert Downey Jr. als von Ehrgeiz zerfressenem Abgeordneten, Emily Blunt als Oppenheimers Ehefrau und Matt Damon als General Gloves, der das „Manhattan Project“ zum Test der Atombombe überwachte. Sie alle überzeugen, genau wie der übergroße, stargespickte Cast, der die kleinsten Nebenrollen mit Leben füllt. Doch Cillian Murphy als Robert Oppenheimer ist, auch ganz wörtlich durch die Kameraführung von Hoyte Van Hoytema, im „Zentrum“ des Geschehens. Getrieben wirkt sein intensives Spiel, aber auch verloren und immer ein wenig abwesend. Fern vom Anspruch, große Empathie bei den Zuschauenden auszulösen, verkörpert er die Ambivalenz dieser historischen Figur eindrucksvoll. Nolans Drehbuch verhandelt neben dem historischen Abriss der Geschehnisse auch hochaktuelle Fragen und hält politischen Systemen damals wie heute einen mahnenden Spiegel vor. Denn Geschichte mag vergangen sein. Doch die Spuren, das machen gerade die letzten Bilder des Films deutlich, sind bis heute deutlich zu sehen.
Filminfos
Gattung: | Spielfilm |
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Regie: | Christopher Nolan |
Darsteller: | Cillian Murphy; Florence Pugh; Emily Blunt; Kenneth Branagh; Matt Damon; Robert Downey Jr.; Jack Quaid; Rami Malek; Josh Hartnett; Dane DeHaan; Michael Angarano; Benny Safdie; David Krumholtz; Matthew Modine; Alden Ehrenreich; Tony Goldwyn |
Drehbuch: | Christopher Nolan |
Buchvorlage: | Kai Bird; Martin Sherwin |
Kamera: | Hoyte Van Hoytema |
Schnitt: | Jennifer Lame |
Musik: | Ludwig Göransson |
Weblinks: | kinofans.com; |
Länge: | 181 Minuten |
Kinostart: | 20.07.2023 |
VÖ-Datum: | 22.11.2023 |
Verleih: | Universal |
Produktion: | Universal Pictures, Atlas Entertainment; Syncopy; |
FSK: | 12 |
Jury-Begründung
Der neue Film von Christopher Nolan führt in vieler Hinsicht seine bisherigen Kinoerzählungen, in denen er die Dimensionen Raum und Zeit mittels modernster Filmtechnik erkundet, fort, weicht aber auch signifikant davon ab. Auch OPPENHEIMER bewegt sich als ebenso perfektes wie komplexes Unterhaltungs- und Überwältigungskino auf mehreren Zeit- und Raumebenen. Andererseits handelt es sich um Nolans erstes Biopic, was ein anderes Verhältnis von erzählter Geschichte und Historie erfordert, als in den meisten seiner Filme (mit Ausnahme von DUNKIRK, der aber wesentlich weniger erzählte Zeit abdecken muss).Thematisch ist der Film nicht weit von seinen Science-Fiction-Filmen entfernt. Denn die Hauptfigur hat mit der Entwicklung der Atombombe wesentlich zu Stoffen und Diskursen des Science-Fiction-Genres in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beigetragen.Der Herausforderung, das Leben Oppenheimers in seinen komplexen Verflechtungen insbesondere mit Wissenschaft und Politik darzustellen, begegnet der Film, indem das Erzählen auf mehreren Zeitebenen nicht aufgegeben, aber wesentlich verständlicher gestaltet wird, als das im Werk Nolans bisher üblich war. Der Film erzählt immens schnell, hat aber auch lange Dialogpassagen, die vieles diskutieren und zudem erklären, nichtsdestoweniger höchste Aufmerksamkeit erfordern. Auch dieses Werk kann und sollte man sich ein zweites und drittes Mal ansehen. Doch die gezielte Irritation des Publikums – Nolans Konzept des Mind-Game-Movies (mit INCEPTION auf die Spitze getrieben) – bleibt hier aus. Es sind nur kleine Mitdenkspiele eingefügt, so etwa, was Oppenheimer und Einstein bei ihrer Begegnung im Park denn wohl besprochen haben, als ersterer seine Tätigkeit für die Atomic Energy Commission unter der Leitung von Lewis Strauss begann.
Der Film ist bis in die letzte Rolle sehr gut besetzt, allen voran Cillian Murphy als Oppenheimer und Robert Downey jr. als Gegenspieler Lewis Strauss. Murphy ist ein Glücksgriff für die Hauptrolle, weil es ihm gelingt, die fast kindliche Befriedigung wissenschaftlicher Neugier in Beziehung zu setzen zur enormen Verantwortung, die sein Handeln mit sich bringt. Dadurch wird er schwer greifbar, doch das ist ja auch genau das, was diese historische Persönlichkeit spannend macht. Die Entwicklung des Konflikts zwischen den beiden Kontrahenten ist dramaturgisch überzeugend gestaltet und kulminiert zum Ende des Films in einer meisterhaften zeitlich versetzten Parallelmontage.
Trotz der enormen Laufzeit von drei Stunden ist OPPENHEIMER zu keinem Moment langatmig. Unterstützt durch die Arbeit von Jennifer Lame, die schon für die Montage von TENET verantwortlich zeichnete, und vor allem durch die fast permanent eingesetzte Musik von Ludwig Göransson ist ein Werk entstanden, das wie eine Oper anmutet: eine Oper für das 21. Jahrhundert, in dem die Atombombe ihr Gefahrenpotential alles andere als eingebüßt hat. Die Jury sah in diesem Film eine „besonders wertvolle“ Leistung.