Filmplakat: O

FBW-Pressetext

Es ist völlig unklar, wie das Loch in die Wand gekommen ist. Oder warum sie es vorher nie gesehen hat. Doch jetzt zieht es sie magisch an. Es ist so wunderschön, so faszinierend. Schon bald kann sie an nichts anderes mehr denken, Tag und Nacht möchte sie bei dem Loch in der Wand verbringen. Als sie hineingreift, verletzt sie sich. Egal, sie möchte mehr. Auf einmal ist das Loch verschwunden und sie sehnt sich zurück nach dem Gefühl, dass es in ihr auslöste. Bald schon wird aus der Sehnsucht eine Obsession. Und aus der unschuldigen und neugierigen Freude etwas Dunkles, Beängstigendes, Zerstörendes. Der experimentelle Kurzspielfilm O in der Regie von Dominik Balkow erzählt die Geschichte einer Abhängigkeit und ihrer Konsequenzen. Dabei dienen die einzelnen Bildmotive dazu, der Story etwas Geheimnisvolles zu verleihen und das Thema zu abstrahieren. Durch die intensive und glaubwürdige Darstellung von Nadine Scheidecker, die zunehmend manischer agiert, vermittelt sich der Horror sowohl auf der inszenatorischen als auch auf der erzählerischen Ebene. In stimmungsvollem schwarz-weiß gehalten, wirken die Bilder sehr stylish und erzeugen einen atmosphärischen Gruselfaktor durch das elegante Zusammenspiel von Kamera, Montage und einem dröhnenden Sound, der den Druck der zunehmenden Abhängigkeit spiegelt. O ist Kurzfilmgenrekino mit genauem Sinn für Effekt und Ästhetik, welches den Zuschauer gewaltig hinein in einen Sog zieht, ohne dass man sich von der Leinwand lösen kann.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Kurzfilm
Regie:Dominik Balkow
Darsteller:Nadine Scheidecker
Drehbuch:Dominik Balkow
Kamera:Darja Pilz
Schnitt:Vanessa Rossi; Dominik Balkow
Musik:René Schostak
Länge:14 Minuten
Produktion: Dominik Balkow

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Ein verheerender Sound begleitet den Sog der Kamera in den Mund eines stilisierten Lehm-Kopfes. Der Mund formt ein langgezogenes „O“. Es geht weiter tief in den Rachen. Am Ende des Nichts tut sich ein kleines Loch auf, das vom anderen Ende her von einer Frau entdeckt wird. Sie schaut neugierig hinein – oder gierig? Sie befindet sich in einem kalten, nächtlichen Schwarz-Weiß-Setting und starrt wie in Trance in das handgroße Loch in einer Backsteinwand. Gehört es zu einem Gefängnis? Wie in einem Traum mit fragmentierter Wahrnehmung greift sie schließlich hinein. Es fühlt sich zunächst gut an, dann ändert sich ihr Gesichtsausdruck plötzlich.
Eine Frau fühlt sich hingezogen zu einem Loch in der Wand? Ihr stilisiertes Verhalten und der ohrenbetäubende Sog-Sound lenken allerdings ab von der eigenen Neugier. So zumindest ging es der Jury, als am Ende des Films ein Zitat eindeutig auf das Motiv der (Suchtmittel-) Abhängigkeit hinweist. In der Diskussion fielen der Jury jedoch nach und nach die Stationen der Sucht auf: Das Angefixtwerden auf der Straße, das Motiv des Loches, das Hineingreifen des Armes, die schmerzhaften Konsequenzen dieser Handlung. Dann die Steigerung der Sucht, die Unmöglichkeit des Entrinnens bis zur Selbstzerstörung. Die Jury jedoch hatte Schwierigkeiten, diese Assoziationen sofort zu erfassen. Und hier setzt die Kritik der Jury am Film an. Dazu ist das ganze Setting derart surreal, dass wir die Frau nicht als wirkliche Figur wahrnehmen. Man wundert sich im Abspann, dass sie einen Namen hat; so ein Wesen, das von Anfang an so bitter allein ist. Und hätte die Abhängigkeit nicht doch zumindest zu Beginn auch etwas mit Interaktion zu tun? Die überdominanten Stilmittel ‚das Loch‘ und der dröhnende, bedrohlich wirkende Sound führen irgendwo anders hin – vielleicht in eine Psychose. Jedenfalls erscheint die Figur der Jury eher angstgesteuert als langsam in etwas hineingleitend, wovon sie immer mehr braucht.
Jedoch, und das zeigte sich schnell in der Diskussion der Jury, funktioniert der Film auch ohne diese Prämisse. Denn die künstlerisch überzeugenden Bild- und Tonebenen ziehen den Zuschauer gewaltig hinein in einen Sog, ohne dass man sich von der Leinwand lösen könnte.
Auch das Ansinnen, das Thema Abhängigkeit in einem surrealen Horrorfilm zu bearbeiten, erscheint der Jury als lobenswerter Ansatz. Nur die interpretative Festlegung darauf erscheint der Jury angesichts der Stilmittel, die eher vom Thema ablenken, zugleich aber einen besonders starken Eindruck hinterlassen, etwas zwiespältig. Im Anschluss an eine spannende Diskussion und in Abwägung aller Argumente zeichnet die Jury den Film gerne mit dem Prädikat WERTVOLL aus.