Nilas Traum im Garten Eden

Kinostart: 11.04.24
2023
Filmplakat: Nilas Traum im Garten Eden

FBW-Pressetext

Der in großen Teilen heimlich gedrehte Dokumentarfilm von Niloufar Tagizadeh ist ein realistisches Zeugnis der aktuellen Situation für Frauen im Iran und ein mutiges filmisches Projekt mit zwei wunderbar inspirierenden Protagonistinnen.

Nila ist sechs und lebt mit ihrer Mutter in der iranischen Stadt Maschhad. Sie ist ein fröhliches Kind, mag alles, was glitzert, ist wissbegierig und liebt ihre Katze. Außerdem freut sich Nila darauf, bald in die Schule zu gehen. Doch genau das ist nicht so einfach. Denn Nila entstammt einer sogenannten ‚Zeitehe‘. Für Männer im Iran eine legale Möglichkeit, neben ihrer Ehe per Vertrag eine Zweit- oder auch Drittehe auf bestimmte Zeit einzugehen – wenn es dem Mann beliebt, auch nur für vielleicht 30 Minuten. Kinder, die in solchen Zeitehen entstehen, müssen von ihrem Erzeuger nicht anerkannt werden und erhalten keine Geburtsurkunde. Sie existieren einfach nicht. Doch Nilas Mutter Leyla kämpft seit Jahren darum, dass Nila als Tochter ihres Vaters anerkannt wird und zur Schule gehen kann. Dafür nimmt sie alle Anfeindungen, bürokratische Hürden und gesellschaftliche Ausgrenzung in Kauf. Damit Nila später einmal alle Träume, die sie hat, auch leben kann.

Die Umstände, unter denen die Filmemacherin Niloufar Tagizadeh, die ursprünglich selbst aus dem Iran stammt und mit Nilas Mutter Leyla früher in eine Schulklasse ging, ihren Dokumentarfilm drehen musste, klingen unfassbar abenteuerlich und gefährlich. Denn obwohl das Filmen natürlich generell im Iran erlaubt ist, darf nichts, was auch nur den Hauch einer Kritik an der iranischen Gesellschaft enthält, irgendwie nach außen dringen. Und so hat Tagizadeh den Film heimlich mit ihrem Smartphone gedreht. Auf diese Weise gelingt es ihr, die Situationen, denen Leyla bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit ausgesetzt ist, ganz unmittelbar und authentisch wiederzugeben. Dabei sind gerade die Szenen, in den Leyla mit den iranischen Behörden kämpft, nur schwer zu ertragen. Immer wieder stößt die bewundernswert positive und kampfeslustige Frau auf Widerstände, wird von einem zum anderen Amt geschickt, steht mit ihren Sorgen und Nöten oft ganz alleine dar. Immer wieder bettet der Film die Situation Leylas in Aufnahmen der Stadt ein. Wenn in der Nacht Hunderte Lichter aufblitzen, Leyla und Nila einen Drachen steigen lassen oder die Beiden Riesenrad fahren. Mit NILAS TRAUM IM GARTEN EDEN ist Tagizadeh, die nur dank der Hilfe eines unermüdlichen Teams ihre Aufnahmen aus dem Iran heraustransportieren und ihren Film auch fertigstellen konnte, ein mutiger und aufrüttelnder Film gelungen, der auf die Situation der Frauen im Iran mit erschreckender Deutlichkeit hinweist. Und sieht und zeigt Tagizadeh Leyla und Nila nicht als Opfer ihres Schicksal. Sondern als ein eingeschworenes Mutter-Tochter-Team, das bei all den Sorgen nie das Lachen, das Tanzen und das Glitzern vergisst. Weil nur so ein normales Leben möglich scheint.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Niloufar Taghizadeh
Darsteller:Leyla Biouk; Nila Rahmati
Drehbuch:Niloufar Taghizadeh,
Kamera:Niloufar Taghizadeh,
Schnitt:Petra Bereuter, Marlene Assmann-Khoueiry,
Musik:Majid Derakhshani,
Webseite:windcatcher-productions.com;
Länge:98 Minuten
Kinostart:11.04.2024
Verleih:Little Dream Pictures
Produktion: Niloufar Taghizadeh, Windcatcher-Productions GmbH; ZDF; ARTE;
FSK:12
Förderer:MFG Baden-Württemberg; BKM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Dokumentarfilm von Niloufar Taghizadeh hat die Jury beeindruckt. Und das nicht nur, weil er in der heutigen Situation im Iran - besonders für Frauen – von großer Brisanz und Wichtigkeit ist, sondern weil er auch in seiner Form und Machart überzeugt.
Das beginnt bei der Geschicktheit, diesen Film in einer professionellen Form abzuliefern, während die Drehbedingungen denkbar schwierig waren – durch Zensur, Filmverbote in Behörden, viele Menschen, die verständlicherweise nicht mit regimekritischen Szenen und Aussagen in Verbindung gebracht werden wollen. Taghizadeh hat aus der Not eine Tugend gemacht, indem sich klassische Dokumentarfilmszenen mit Guerilla-Handyfilmaufnahmen mischen, heimlich entstandene öffentliche Szenen, wie auf Ämtern, gut mit intimen, privaten Aufnahmen kombiniert sind.
Gut hat der Jury auch die offengelegte Position der Filmemacherin gefallen: Die persönliche Nähe Taghizadehs zur Mutter, eine ehemalige Klassenkameradin im Iran, die jetzt, während des Filmprojekts, eine vier bis siebenjährige Tochter, Nila, hat. Die beiden werden beim Versuch der Mutter begleitet, offiziell das Sorgerecht für Nila zu erhalten, sie in einer Schule anmelden zu können und den offiziell nie existenten, die Anerkennung der Tochter verweigernden Vater in Schach zu halten. Dieser besteht am Ende doch sehr überraschend auf seinem Vaterrecht. Denn in der patriarchalen, reaktionären Mullah-Gesellschaft bedeutet dies die komplette Entrechtung der Mutter und der Entzug ihrer Tochter.
Taghizadeh ist als Filmemacherin eine stille Beobachterin durch die Kamera. Dass der Film trotz beklemmender Situation dabei nie in Larmoyanz abgleitet, geschweige denn in pure Verzweiflung beim Kampf gegen eine kafkaeske Bürokratie und Justiz, liegt an der starken Protagonistin (der Mutter), aber auch an der geschickten Machart des Films. NILAS TRAUM IM GARTEN EDEN betont vor allem die Kraft, den Optimismus, das Unverdrossene der Mutter gegen ihre Verzweiflung. Dazu wird der Iran optisch auch als buntes, sommerliches Land gezeigt und nicht künstlich verdüstert.
Mit diesem intimen Porträt ist ein knallhartes Gesellschaftsporträt gelungen – eine ideale Kombination eines Dokumentarfilms, der Persönliches und Politisch-Gesellschaftliches fantastisch ineinander verschränkt. Der Iran wird hier ohne Boshaftigkeit, sondern durch puren Realismus als ein frauenverachtendes bürokratisches Knäuel aus grotesker Willkür, Sadismus und Ratlosigkeit gezeigt. Auch die perverse Sexualmoral ist – in Form der „Ehen auf Zeit“ und der offiziellen Nichtexistenz von nichtehelichen Kindern – hier ein Thema. Dabei werden Leid, Angst und Verzweiflung der Mutter nie voyeuristisch oder für den Zuschauer übersuggestiv eingesetzt. Auch diese gute Balance aus Nähe ohne Ausbeutung ist eine Stärke des Films.
Dabei wurden auch zwischendurch gute Symbolbilder gefunden, die sich natürlich in die Handlung einfügen.
Durch einen guten Rhythmus, viele Ortswechsel und gute Bildfindungen überträgt sich auch die Anstrengung der bürokratischen Dauer-Irrfahrt der Mutter nicht auf den Zuschauer. Positiv ist auch, dass hilfsbereite Bürokraten und Unterstützung nicht verschwiegen werden. So hat der Film ein weinendes und ein lachendes Auge – und manchmal wird auch getanzt, nicht nur, um der Tochter im Wahnsinn ein kindgerechtes, fröhliches Leben zu erhalten, sondern auch weil ein Leben ohne die fröhliche Seite eine reine Hölle wäre. Und der Film hat auch ein offenes Ende, das den Zuschauer aufgewühlt, aber nicht niedergeschlagen entlässt.
Das alles hat die Jury zu einem Votum für das Prädikat besonders wertvoll bewogen.