Nicht böse sein!

Kinostart: 08.11.07
2006
Filmplakat: Nicht böse sein!

FBW-Pressetext

Nur Nähe, Vertrauen, Geduld und altmodischer Anstand können solch ein rundes, reifes, bescheidenes und an Beobachtungen menschlichen Lebens reiches Werk gelingen lassen. Dem zutiefst humanen Dokumentarfilm gelingt ein tiefenscharfes, überraschend unaufgeregtes Porträt dreier suchtabhängiger Männer, die in Berlin-Kreuzberg in einer kleinen Wohnung hausen. Der Filmemacher war ihr Nachbar, auch der Kamera gebührt ein Preis.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Wolfgang Reinke
Drehbuch:Wolfgang Reinke
Länge:95 Minuten
Kinostart:08.11.2007
Produktion: lunachod - Filmproduktion Wolfgang Reinke, lunachod
FSK:12

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Eine ganz eigene Art von Nachbarschaftshilfe hat Wolfgang Reinke
geleistet, der über die kleine Gruppe von Männern, die im gleichen
Kreuzberger Mietshaus wie er wohnten, diesen Dokumentarfilm gedreht hat.
Der alkoholkranke Johann Wolfgang lebte dort mit den beiden
Heroinabhängigen Dieter und Andi zusammen, und die Kamera von Gines
Olivares rückte ihnen in den 47 Drehtagen zum Teil sehr nah auf den
Haut. Das ist für die Zuschauer nicht immer leicht zu ertragen, denn die
Drei sind durch ihre Süchte zu Randexistenzen geworden, die in Armut und
am Rande der Verwahrlosung leben.

Doch Reinke denunziert die Protagonisten nie, und er vermeidet auch das Schwelgen im sozialen Elend mit dem sonst üblichen voyeuristischen Blick. Man spürt, dass dieser
Film immer auf der Seite der drei Männer steht, und nur dadurch sind
diese authentischen Inneneinsichten ermöglicht worden. Der Film macht es dem
Publikum nicht leicht: Die Kamera erspart uns nicht die Bilder von den
vernarbten Venen und den quälend langen Versuchen, sich an ihnen noch
einen Schuss zu setzten. Auch die Geschwätzigkeit von Johann, sein
weinerliches Selbstmitleid und seine regelmäßigen Ausfälle im
Alkoholrausch sind zum Teil nur schwer zu ertragen.

Aber dennoch überrascht die relative Normalität ihres Lebens, wie die drei sich den Umständen entsprechend miteinander arrangiert haben, wie sie sich umeinander
kümmern und dabei manchmal eine fast idyllische Harmonie erreichen.
So wie die hochsensiblen, überaus verantwortungsbewussten Filmemacher sich mit ihren Dreharbeiten Zeit gelassen haben, so haben sie auch in ihrem Film Sequenzen, in denen scheinbar nichts passiert. Doch genau um dieses Gleichmaß des Alltags geht es ihnen ja.

So kommt der Film auch erfreulich unaufgeregt daher. Aber so kunstlos
wie er auf dem ersten Blick auch wirken mag ist „Nicht böse sein!“ dann
doch nicht. Gines Olivares hat ein gutes Gespür für Details und bewegt sich
mit der Kamera in den engen Räumen mit einer fast tänzerischen Eleganz.
Wolfgang Reinke hat manchmal dramaturgisch sehr geschickt montiert, ist ein behutsamer Regisseur.

So geht dieser Film erstaunlich weit in die Tiefe, etwa wenn Johann von seiner
Kindheit erzählt, oder wenn man sieht, wie er sich immer noch als einen
Schriftsteller versteht, dessen Werke gebunden sind, auch wenn er selber
die Druckkosten bezahlt und die Auflage nur aus einem Exemplar besteht.
Bei jeder Einstellung spürt man das Vertrauen, das die Protagonisten in
das kleine, nachbarschaftliche Filmteam hatten, und so ist mit „Nicht
böse sein!“ ein zutiefst menschliches Porträt von Menschen entstanden,
die zwar in reduzierten Verhältnissen leben mögen, sich selber aber
nicht auf Krankheitsbilder, Suchtkarrieren und das Elend von den
sozialen Verlierern reduzieren lassen.