National Bird

Kinostart: 18.05.17
2016
Filmplakat: National Bird

FBW-Pressetext

Drohnen. Sie sind die Waffe der modernen Kriegsführung. Lautlos kreisen die kleinen unbemannten Flugzeuge über Objekten und Menschen, immer bereit, auch auf ausspionierte Ziele zu schießen. Gesteuert werden sie aus der Ferne, weit weg vom Kriegsgebiet selbst. Um differenzieren zu können, auf was genau zu schießen ist, gibt es Bildanalysten, die tausende Kilometer entfernt das erfasste Material sichten und darauf trainiert werden, in Sekundenschnelle zu entscheiden, ob geschossen werden soll. Auch Heather war eine Bildanalystin. Doch sie konnte ihren Job nach einiger Zeit nicht mehr ausüben. Das US-Militär versagte ihr jedwede Hilfe, glaubte nicht daran, dass ihr Job tatsächlich eine psychische Belastung darstellen könnte. Heute ist Heather Massagetherapeutin. Sie ist eine der Protagonisten in NATIONAL BIRD, dem Dokumentarfilm von Sonia Kennebeck. Kennebeck begleitet Heather in ihrem Leben nach dem Militärdienst. In eindringlichen Statements, die Kennebeck ganz unkommentiert stehen lässt, berichtet Heather von dem psychischen Druck, dem sie ausgesetzt war und für den sie nun Entschädigung und Anerkennung fordert. Auch Nathan will gehört werden. Doch ist er in einer anderen Situation. Als Analyst für ein Spezialprogramm der NSA und der US-Regierung war er unter anderem an der Erfassung Bin Ladens beteiligt. Mittlerweile ist Nathan ein Verfolgter. Denn als er das erste Mal Zweifel an seiner Tätigkeit äußerte, brachte er die Regierung gegen sich. Nun wird gegen ihn wegen Spionage ermittelt und er muss sich verstecken. Auf beeindruckende Weise öffnen sich die Protagonisten, trotz der steten Bedrohung, im Film ganz offen und zeigen so großes Vertrauen zur Filmemacherin. Dieses Vertrauen zeigt sich auch in der berührendsten und kraftvollsten Passage des Films. Gemeinsam mit der Veteranin Karen reist Kennebeck nach Afghanistan. Dort treffen sie auf Menschen, die insgesamt 23 Familienmitglieder verloren haben, als im Jahr 2014 Drohnen einen Konvoi von drei Lastwagen angriffen, in dem Zivilisten unterwegs waren, darunter auch Frauen und Kinder. Als erzählerisches Mittel lässt Kennebeck den Angriff der Drohnen nachstellen, während auf der Tonebene das originale Transkript der Soldaten, die über den Angriff entschieden, zu hören ist. Danach erzählen die Opfer. Sie berichten über ihr Leid und stellen die Forderung nach einer Beendigung des Programms. Gerade hier überzeugt NATIONAL BIRD durch seine ruhige Sachlichkeit, die dennoch mit einer eindringlichen Botschaft unter die Haut geht. Zwischen die Aussagen der Protagonisten sind Luftaufnahmen von Drohnen geschnitten, die über typische Vorstädte, Metropolen und andere bewohnte Gebiete der USA fliegen. Mit solchen Bildern, die eine gespenstische Bedrohung viel klarer machen als lange Interviews mit Experten, schafft der Film eine Atmosphäre, die noch lange nachhallt. NATIONAL BIRD ist eine spannende Dokumentation, die vom Mut der Protagonisten und seiner Regisseurin lebt. Und ein Film, der auf eine globale Gefahr hinweist, die bereits jetzt lautlos über uns schwebt.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Sonia Kennebeck
Drehbuch:Sonia Kennebeck
Kamera:Torsten Lapp
Schnitt:Maxine Goedicke
Musik:Insa Rudolph
Länge:92 Minuten
Kinostart:18.05.2017
Verleih:NFP
Produktion: Ten Forward Films, Independent Television Service (ITVS); NDR;
FSK:12
Förderer:BKM; DFFF; KJDF; FFHSH

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll verliehen.

Heather kämpft mit Gespenstern, die ihr Unterbewusstsein fast jeden Tag aufs Neue entstehen lässt, Daniel hat Angst davor, jede Minute wegen Landesverrats eingesperrt zu werden und Lisa fühlt sich so schuldig, dass sie bis nach Afghanistan reist, um Vergebung zu finden. Alle Drei haben gemein, dass sie für das amerikanische Drohnenprogramm gearbeitet haben.

Sonia Kennebecks Dokumentation über die kleinen, ferngesteuerten Flugkörper, die derzeit als sauberste Art der Kriegsführung gepriesen werden, ist, nach Ansicht der Jury, genauso aufklärend wie spannend. Kenneback hat drei Insider des amerikanischen Drohnenkriegs ausfindig gemacht, die bereit waren, über ihre Arbeit zu erzählen. Dabei hat die Regisseurin Aussagen festhalten können, die zeigen, dass die amerikanischen Behörden das Drohnenprogramm gerne als Verschlusssache einstufen würden – aus gutem Grund.

Die Jury zeigte sich beeindruckt von Kennebecks Recherche. Drei Jahre lang hat sie an ihrer Dokumentation gearbeitet, hat mit Informanten, Opfern und Anwälten gesprochen, Angehörige, Selbsthilfegruppen und hochrangige Offiziere befragt und dabei Antworten erhalten, die alle Aussagen zur modernen Kriegsführung fragwürdig erscheinen lassen.

Dass Erdrückende – und das arbeitet NATIONAL BIRD sehr gut heraus – ist die Allmacht des modernen Überwachungsstaates. Einerseits operieren die USA mit Waffen, deren Gefährlichkeit nicht abzuschätzen ist, und andererseits nutzen sie ihre Macht, um Kritiker verstummen zu lassen. Auf diese Weise wird auch jede kritische Dokumentation über Drohnen zum Grenzgang.

Die Jury zeigte sich erfreut über die moderne Dokumentationsform, die auch mit den dramaturgischen Mitteln des Spielfilms arbeitet, ohne erkennbar zu verfälschen. Es liegt in der Natur dieses David-gegen-Goliath-Themas, dass Sonia Kennebeck nicht ausrecherchieren kann, ohne ihre Informanten in Gefahr zu bringen. Die Regisseurin hat aus der Not eine Tugend gemacht. NATIONAL BIRD regt zum Nachdenken und Weiterrecherchieren an. Mit unauffälligem Score, gut gewählten Schnittmaterial und erstklassigen Interviewpartnern wirkt Kennebecks Film bisweilen wie ein Spielfilm – verstößt allerdings nie gegen das Gebot der Sachlichkeit.

Die Professionalität der jungen Filmemacherin, ihre intensive Recherche, ihre Kreativität, ihr inszenatorisches und dramaturgisches Geschick haben die Jury überzeugt, dass sie dem Dokumentarfilm NATIONAL BIRD nach ausgiebiger Diskussion das Prädikat besonders wertvoll verliehen hat.