Moretones

Filmplakat: Moretones

FBW-Pressetext

Das faszinierende Porträt einer von Klimawandel bedrohten Region, seiner schwindenden Kultur und seines tiefen mythischen Glaubens. Meditativ, entschleunigend und herausfordernd rätselhaft.

Die Costa Chica in Mexiko ist eine Region, die geprägt ist vom Kolonialismus und dem Echo von Sklaverei und Vertreibung. Einige der Afro-Mexikaner:innen, die noch heute unter dem Erbe dieser Geschichte leiden, glauben an sogenannte tonos, Tiergeister, die als spirituelle Doppelgänger in der Erscheinung eines Tieres auftreten. Doch diese kulturelle Praxis an der Costa Chica scheint immer mehr zu verschwinden. Und mit ihr auch die Geister, die jetzt nur noch in der Nacht, am Ufer des Flusses, ihre Kraft verströmen können.

Der Dokumentarfilm in der Regie von Ginan Seidl und Daniel Ulacia Balmaseda ist ethnografische Studie und meditativ konzentriertes Bilderkino in einem. Mit vollem Vertrauen in die starken Protagonist:innen lassen die Filmemachenden die Bilder für sich sprechen und die Zuschauenden ganz und gar eintauchen in eine fremde Welt, deren Zauber man sich nicht entziehen kann. Die Filmemachenden selbst verweigern jede Kontextualisierung oder nähere Erläuterung, nur die porträtierten Menschen kommen zu Wort. Doch auch hier gibt es keine Struktur, keine feste Deutung oder eine starre Handlung. MORETONES ist mehr Stimmung als Narration, mehr Gefühl als Dramaturgie. Der Film lässt seine Bilder lange stehen, dabei faszinieren vor allem die Blicke in die vom Leben gezeichneten Gesichter der Menschen, die weiterhin eine tiefgreifende Verbindung zu ihren tonos pflegen, aber genau spüren, dass sie zu den Letzten ihrer Generation gehören, die diese Verbindung in sich tragen. MORETONES – was soviel heißt wie „Blaue Flecken“ – ist rückbesinnend und vorwärtsgerichtet zugleich. Eine absolut lohnende Herausforderung für alle Zuschauenden.
Prädikat besonders wertvoll

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Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Ginan Seidl; Daniel Ulacia Balmaseda
Drehbuch:Ginan Seidl; Daniel Ulacia Balmaseda
Kamera:Ginan Seidl
Schnitt:Ginan Seidl; Daniel Ulacia Balmaseda
Webseite:ginanseidl.net; moretones-film.com;
Länge:89 Minuten
Produktion: RosenPictures Filmproduktion GbR
Förderer:MDM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Moretones sind blaue Flecken – Hämatome. Es dauert lange, bis sich der Titel dieses im besten Sinne rätselhaften Dokumentarfilms erschließt. Der in Costa Chica (Guerrero Mexiko) spielende Film von Ginan Seidl und Daniel Ulacia Balmaseda beginnt mit Familienbildern in Schwarzweiß. Es folgen Eindrücke einer geheimnisvollen Nachtwanderung, die uns mitten in den Ort des Geschehens leiten. Bilder von den Mühen des Fischfangs und körperlicher Arbeit vermischen sich mit den Ritualen religiöser Feste. Doch Moretones geht immer noch einen Schritt weiter, als man erwarten würde. Auf subtile Weise führt er uns in die animistische Glaubenswelt der dargestellten Ethnie, der marginalisierten afro-mexikanischen Bevölkerung.

Aus den selten erklärten Situationen und Momentaufnahmen macht der Film den Schatten des Kolonialismus spürbar. Sklaverei und Verfolgung zeichnen noch immer die Realität der Menschen von Costa Chica, lassen ihr Leben perspektivlos erscheinen. Auf einer unterschwelligen Ebene vermittelt der Film die spirituellen Elemente und schafft einen Zugang zur magischen Perspektive der Menschen. Er zeigt einige Individuen im Laufe des Jahreswechsels, fängt den Rhythmus des Alltags ein: Wir erleben Juli, eine Fischerin, Don Chico, einen Heiler, Doña Ester, eine 97-jährigen Hebamme, und Jaime, einen Bauern, der sich langsam in sein Schutztier verwandelt und verschwindet. Die Tonos, spirituelle Schutztiere, werden zum Leitmotiv des Films und stehen auch für den Titel, denn wenn der Tono stirbt, verfällt auch der Mensch.

Audiovisuell ist der Film außergewöhnlich, poetisch und assoziativ. Da er ausschließlich mit dokumentarischem Material arbeitet, muss man ihn als einen Hybriden bezeichnen zwischen ethnographischer Dokumentation und poetischem Essayfilm im Stile von Chris Marker oder Jean Rouch. Geduldig beobachtend und nicht wertend bleibt der Film nah am Geschehen. Der Film nähert sich der Kultur langsam und subtil an und nutzt die mythologischen Motive als Reflexion des physischen Verschwindens einer verfolgten Ethnie. Dabei ist die Tongestaltung frappierend plastisch, mit komplexen, räumlichen Effekten. Schwarzweiß und Farbe werden mit Bedacht eingesetzt, und in den Schwarzweißbildern erinnert der Film an die Fotografien von Salgado.

An manchen Stellen irritiert Morteones durch Brüche mit den Sehkonventionen, bewahrt aber eine meditative, hypnoide Qualität. Die Bilder beeindrucken durch die enorme Nähe – ungewohnte Perspektive, die den Blickwinkel der behandelten Ethnie spürbar machen. So schafft er einen Zugang zur Thematik, ohne Vorwissen und Grundierung vom Publikum zu verlangen. Moretones ist eine schamanisch-spirituelle Reise in eine verschwindende Welt.
Die Jury war von diesem Film sehr beeindruckt und verlieh ihm gerne das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.