Mama Micra
FBW-Pressetext
Erst ein Jahr vor dem Tod der Mutter kann die Tochter sich mit ihr aussprechen. Über ein Leben, das aufregend, spannend, immer wieder überraschend und inspirierend war. Aber auch ein Leben, das einsam, egoistisch und für viele nicht nachvollziehbar war. Vor allen Dingen für die Tochter. Denn die Mutter hat eines Tages entschieden, in ihrem Auto zu leben und von Ort zu Ort zu ziehen. Ohne Verpflichtung, ohne einen Heimathafen. Aber auch ohne eine wirkliche Bindung zu ihrem Kind. Die Filmemacherin Rebecca Blöcher hat mit ihrer Mutter lange Gespräche geführt – und diese auf Tonband aufgenommen. Und während man auf der Tonebene den Erinnerungen der Mutter an ihr außergewöhnliches Leben mit großer Faszination folgt, finden Blöcher und ihr Co-Regisseur Frédéric Schuld auf der visuellen Ebene ausdrucksstarke Bilder und Motive, die die Nomadenhaftigkeit dieser eigenwilligen Frau verkörpern. Private Fotoaufnahmen vermischen sich mit animierten Sequenzen, abstrakte Erinnerungen vermischen sich mit Symbolen wie etwa die Erinnerung der Mutter an die abweisende Haltung ihrer Tochter, als sie sie besuchen wollte und die Tochter als Rabe auf einem Berg thront, den die Mutter mit ihrem Auto serpentinenhaft – und erfolglos - erklimmen will. Für die Mutter unverständlich, denn: „Eine Mutter kann doch jederzeit zu ihren Kindern kommen und meine Kinder können jederzeit zu mir kommen.“ Worauf die Tochter erwidert: „Es gab ja keinen Ort, wo wir hinkommen konnten.“ Es sind Dialoge wie diese, die unter der Oberfläche eines vor Einzigartigkeit funkelnden Lebens auch die Traurigkeit einer fragilen Mutter-Tochter-Beziehung offenbaren. MAMA MICRA ist ein sehr persönlicher Film einer ausdrucksstarken Künstlerin. Und gleichzeitig ein allgemeingültiges Zeugnis des Erinnerns, des Bedauerns und nicht zuletzt auch des Versöhnens.Filminfos
Gattung: | Animationsfilm; Dokumentarfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Rebecca Blöcher; Frédéric Schuld (Co-Regie) |
Drehbuch: | Rebecca Blöcher; Frédéric Schuld (Co-Autor) |
Kamera: | Frédéric Schuld |
Schnitt: | Rebecca Blöcher; Frédéric Schuld |
Musik: | Christian Goretzky; Alexander Müller-Welt |
Webseite: | fabianfred.com; |
Länge: | 24 Minuten |
Produktion: | Fabian&Fred GmbH Fabian Driehorst |
FSK: | 6 |
Förderer: | FFA; BKM; MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein |
Jury-Begründung
Rebecca Blöchers Kurzanimationsfilm ist ein Meisterwerk von origineller Animation, einfallsreichen Assoziationen und einer dokumentarischen Lebensgeschichte, die verblüfft und berührt und alles in allem, so die Ansicht der Jury, Spielfilmlänge verdient hätte. Mit Filzpuppen-Animation stellt Blöcher Erinnerungen der Mutter nach, die nach der Trennung der Eltern offenbar ihr bürgerliches Leben aufgab und als moderne Nomadin in ihrem Auto lebte und durch ganz Europa fuhr.Doch die Animation bietet so viel mehr als nur eine Illustration dessen, was eine Stimme aus dem Off – eine Tonbandaufnahme mit der Mutter – erzählt. Blöcher formt an vielen Stellen Metaphern – ist es die "Rabentochter", die am Bett der sterbenden Mutter sitzt? – oder sie widerspricht auf der bildlichen Ebene dem, was die Mutter berichtet, bzw. gibt dem eine andere Form und damit eine übertragene Bedeutung: An einer Stelle erzählt die Mutter, wie sie die Tochter zum Einsteigen ins Auto animierte, aber in der Animation sieht man eine Gestalt, die in den kleinen Wagen gar nicht hineinpasst. Auch die Situationen der Krise, in die ihre Mutter schließlich hineingerät, verleiht sie in Überzeichnungen metaphorisch immer noch eine weitere Ebene. Wenn das Auto, das das einzige Zuhause der Mutter war, in Wald und Winter schließlich auseinanderfällt, ist das auch der physische Zerfall der Mutter, die schließlich im Heim landet.
Gleichzeitig gelingt es Blöcher, den Eigensinn, den Mut und die Originalität ihrer Mutter deutlich zu machen, und doch aufzuzeigen, wie belastet das Mutter-Tochter-Verhältnis war, wie sehr sie als Tochter unter der Egozentrik dieser Freigeistigkeit auch gelitten hat. Und wie nötig es für sie war, sich davon zu distanzieren. "Sie sehen aus wie meine jüngste Tochter - eine kluge und starke Frau", sagt die Stimme vom Band zu eben dieser Tochter, die sich bemühen muss, anzuerkennen, dass sich in diesem Satz ein großes Lob an sie verbirgt, auch wenn sie von der eigenen Mutter nicht mehr erkannt wird.
Die Jury vergibt das höchste Prädikat ‚besonders wertvoll‘.