Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Dieser Film musste gemacht werden – gut, dass er so gemacht wurde. Die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai ist in den letzten Jahren immer mehr zur Heldin des Widerstands gegen die Unterdrückung von Frauen und Kindern in muslimischen Terrorsystemen geworden. Als 15-Jährige widersetzte sich die Pakistanerin den Taliban, die ihre Heimat, das Swat Tal, beherrschten und den Mädchen dort verboten, in die Schule zu gehen. Nachdem sie öffentlich gegen diese Maßregel protestiert hatte, wurde Malala in ihrem Schulbus durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt. Nach ihrer Genesung emigrierte sie mit ihrer Familie nach Großbritannien und engagiert sich seitdem für das Recht von muslimischen Mädchen auf Bildung. Nicht erst durch die Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 2014 wurde sie zu einer Ikone des Kampfes für Toleranz und das Recht auf Bildung. Die inzwischen 18-Jährige spielt diese Rolle als öffentliche Person perfekt. Sie hält Reden vor großen, bedeutenden Versammlungen, spricht sympathisch und sehr eloquent vor den Fernsehkameras und reist in internationale Krisengebiete, wo sie wirkungsvoll als eine Symbolfigur agiert. Hinter all dem droht der Mensch Malala zu verschwinden. Die große künstlerische Leistung von Davis Guggenheim besteht nun darin, diese Diskrepanz deutlich zu machen. Deshalb ist es so wichtig, wenn er seinen Film mit alltäglichen Aufnahmen aus der Familie beginnt. Da beklagt sich etwa ihr kleiner Bruder darüber, wie schlecht sie ihn behandelt. Später zeigt er, wie sie, ähnlich den meisten Mädchen in ihrem Alter, für gutaussehende Sportler und Schauspieler schwärmt und so gelingt es ihm, ein interessanteres und komplexeres Bild von Malala zu zeichnen, als zu erwarten war. Sie erzählt von ihren Schwierigkeiten in der Schule (wegen den vielen Fehlzeiten ist sie keine Musterschülerin mehr) und auch davon, dass sie trotz ihres aufregenden Lebens und der Wertschätzung, die ihr überall entgegengebracht wird, Heimweh nach dem Swat Tal hat. Wenn Malala es vermeidet, vor Guggenheims Kamera von dem Angriff, ihren furchtbaren Verletzungen, ihren Schmerzen und Ängsten zu sprechen, thematisiert er eben diese Verweigerung in einer sehr dezenten, und dadurch umso bewegenderen Gesprächssequenz. Und der Film macht auch deutlich, in welchem Ausmaß Malalas Persönlichkeit durch ihren Vater geprägt wurde, der ihr als Lehrer von frühster Kindheit an eine Liebe zur Schulbildung und einen Sinn dafür, dass auch Frauen stark sein und sich wehren können, einimpfte. So gab er ihr den Namen der Heldin einer pakistanischen Legende, die ihr Volk zum Kampf gegen die Unterdrücker aufrief und dabei umkam. Diese Geschichte wird im Film durch sparsame und märchenhaft wirkende Animationen illustriert und in diesem Stil inszeniert Guggenheim auch Bilder von der Kindheit von Malalas Familie im Swat Tal, von der schleichenden Machtübernahme durch die Taliban und dem Anschlag auf das Mädchen. Durch die Wahl dieser Mittel und die sehr einfühlsame Art, mit der er nicht die Funktion und das Schicksal, sondern die Persönlichkeit von Malala in den Mittelpunkt stellt, vermeidet er jedes Pathos und zeichnet keine Heldengeschichte, sondern erzählt stattdessen von einer jungen, klugen, mutigen Frau, der man im Lauf des Films erstaunlich nah kommt.