Klabautermann

Kurzbeschreibung

Die junge Pflegehelferin Miranda gerät in die Zwickmühle zwischen ihren eigenen Interessen und ihrem Gewissen
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Anke Sevenich
Darsteller:Emma Bading; Hainer Hardt; Ilona Schultz; Waldemar Kobus
Drehbuch:Anke Sevenich
Kamera:Knut Adass
Schnitt:Lukas Rinker
Musik:Marcel Barsotti
Länge:17 Minuten
Produktion: Schöpferische Höhe, Sevenich & Falk GbR
Förderer:HessenFilm und Medien

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Die junge Pflegehelferin Miranda arbeitet in einem katholischen Pflegeheim am Stadtrand. Das Personal ist knapp und schlecht bezahlt, und wegen der Corona-Schutzmaßnahmen ist alles noch schwieriger geworden. Die Stimmung ist schlecht bei den Bewohner*innen und beim Personal. Aber Miranda hat ihren ganz eigenen Weg gefunden, sich um die ihr anvertrauten Menschen und gleichzeitig um die eigene prekäre Lage zu kümmern. Sie bietet spezielle Dienste an, mit denen sie sich einen Zuverdienst verschafft und den Menschen etwas Freude in einer freudlosen Umgebung. Besonders Herr Vettermann hat es ihr angetan, ein alter Seemann, der nichts mehr essen mag und, abgesehen von einigen Brocken Russisch, kaum mehr spricht. Nachdem Frau Vettermann, die ihr beinahe auf die Schliche gekommen wäre, überraschend stirbt und sich die Lage für Herrn Vettermann verschlechtert, fühlt Miranda sich in der moralischen Verantwortung, alles zu riskieren, um den freien Willen des Patienten zu respektieren.

Wie sieht es aus, das Leben am Lebensende? Regisseurin und Autorin Anke Sevenich, bisher als Schauspielerin tätig, widmet sich in ihrem Kurzfilmdebüt diesem wichtigen Thema und führt uns in ein Pflegeheim. Es ist kein besonders abschreckendes Beispiel seiner Art, sondern eine ganz gewöhnliche Einrichtung. Aber auch hier ist der Alltag vom Kosten- und Zeitdruck bestimmt und lässt Bewohner*innen und Pflegekräften wenig Raum. So bleiben individuelle Bedürfnisse und Wünsche meist unberücksichtigt. Corona hat die Situation noch einmal verschärft: Der Speisesaal ist geschlossen, Mahlzeiten müssen auf den Zimmern eingenommen werden, Kontakte und Besuche sind strikt beschränkt. Diese Bedingungen sind gut recherchiert und filmisch effizient und glaubhaft umgesetzt. Die Kamera von Knut Adass zeigt den Pflegealltag in entsättigten Farben und ist dicht bei den Protagonist*innen, ohne je aufdringlich oder indiskret zu werden. Vor diesem Hintergrund stellt der Film schließlich die Frage, ob es durch Weltanschauung und Berufsethos gerechtfertigt ist, einen Menschen, der nicht mehr leben will, am Leben zu erhalten – selbst wenn die Behandlungsmethoden durchaus diskussionswürdig sind.

Vor allem aber erzählt der Film die Geschichte einer Rebellion. Im Mittelpunkt steht die junge Pflegehelferin Miranda, die in einem maroden Campingbus lebt, weil sie sich die Miete für eine eigene Wohnung offensichtlich nicht leisten kann. Wir erfahren nichts über ihren Hintergrund, aber es ist vom ersten Moment an offensichtlich, dass sie eine sehr besondere Persönlichkeit ist, die Energie mit Wurstigkeit kombiniert und sich ihre eigenen Regeln setzt. Sie wird von Emma Bading mit viel Sympathie für die Figur und großer Entschlossenheit hervorragend verkörpert. Der rebellische Zug verbindet sie mit Herrn Vettermann, der sich mit den wenigen verbliebenen Mitteln eines bettlägerigen, schwerst pflegebedürftigen Menschen gegen die Vorgaben der Heimleitung – und denen seiner Frau – zur Wehr setzt. Diese Seelenverwandtschaft, die schließlich zur finalen Rettungstat führt, ist eine durchaus sympathische Filmidee, die man sich, wie die Jury feststellte, auch „gut als längeres Werk vorstellen“ könnte.

Was die Personen angeht, so erfahren wir nichts zu deren Hintergrund. Es bleibt unklar, ob Herr Vettermann wirklich zur See gefahren ist, oder ob Miranda, die auf ihrem Laptop Szenen aus Seefahrtsfilmen sieht, sich das ausmalt. Das „Dreiecks“-Verhältnis Miranda-Herr Vettermann-Frau Vettermann ist von dem ersten Moment an spannungsgeladen. Die beiden Frauen beobachten sich voller Misstrauen oder gar Abneigung. Während Herr Vettermann seine Frau keines Wortes würdigt, verständigt er sich mit Miranda komplizenhaft auf Russisch, wobei, wie sich später herausstellt, Miranda kein russisch spricht und er sich sehr wohl auf Deutsch artikulieren kann. Der Film erhält durch die Konkurrenz der beiden Frauen einen seltsamen Unterton, und der Tod ereilt die rüstige Frau Vettermann nach Mirandas Offenbarung doch sehr überraschend. Die Regie findet dafür auch keine filmische Lösung, sondern wir erfahren davon lediglich durch die Aussage des Heimleiters.

Was die Traumsequenzen angeht, so trifft Miranda ihre Entscheidung, Herrn Vettermann zu befreien, offensichtlich vor dem Hintergrund einer solchen Traum- oder Theaterszene, die im klassischen Pietà-Motiv mündet. Es ist offensichtlich, dass sie Mitleid mit dem alten Mann hat. Die zweite Traumsequenz gegen Ende des Films erscheint stimmig in der Vorstellung, dass einem Menschen angesichts des nahenden Todes wichtige Episoden und Personen des Lebens erscheinen. Der Bezug zum Song „Wos is, wann nix is“ von Wolfgang Ambros ist offensichtlich.