Je Suis Karl

Kinostart: 16.09.21
2021
Filmplakat: Je Suis Karl

FBW-Pressetext

Ein Film, der unter die Haut geht. Unbequem, konsequent und hochaktuell.

Es ist ein großer Schock für Maxi, als ihre Mutter und ihre Brüder durch eine Paketbombe ums Leben kommen. Doch während Maxis Vater sich einigelt, ist Maxi unfassbar wütend – und sucht Halt in der rechten europäischen Jugendbewegung „Pour“ und deren charismatischen Anführer Karl. Die Komplexität des Themas und die eindringliche Darstellung von Wedler, Niewöhner und Peschel machen dieses Drama zu einem intensiven Kinoerlebnis.

In seinem neuen Film zeigt Christian Schwochow auf, wie die Verführungsmechanismen von radikalen Gruppen funktionieren. Dabei erzählt er aus der Perspektive der Verführten und des Verführers gleichermaßen, was auch uns Zuschauer*innen immer wieder in die Geschichte hineinzieht und uns die Frage stellen lässt: Wie würde man sich selbst verhalten? Durch geschickte Plot-Twists fügen Schwochow und sein Drehbuchautor Thomas Wendrich nach und nach neue Ebenen hinzu, was der Geschichte Tiefe und Ambivalenz verleiht. Das Publikum wird so hineingezogen in den Sog der sich zuspitzenden Handlung. Jannis Niewöhner spielt Karl als eine charismatische Verführerfigur, die das Gift der Verunsicherung und Militarisierung langsam aber sicher in die Gefolgschaft träufelt. Bis nichts mehr da ist außer der Bereitschaft, die Säulen der Rechtsstaatlichkeit zu kippen und eine neue Weltordnung zu etablieren. Milan Peschel als Maxis Vater verkörpert empathisch einen Mann, der vor Schmerz unfähig ist, zu handeln, und dennoch alles tun will, um seine Tochter vor dieser Radikalisierung zu bewahren. Und Luna Wedler beweist als Maxi einmal wieder, dass sie zu den absoluten Ausnahmetalenten einer jungen Darstellerriege gehört. In ihrem Spiel durchmischen sich Angst, Trauer und eine unbändige Wut auf einen scheinbar eindeutigen Feind. Sie will aber auch einfach dazugehören. Schwochow wählt Maxi als pars pro toto für viele Menschen der jungen Generation, die gerade in aktuelle Zeiten nach Halt sucht – und ihn da findet, wo sie für eine irrgeleitete Ideologie missbraucht wird. Eine kluge Montage, eine dynamische Kamera und ein atmosphärischer Score und Soundtrack machen JE SUIS KARL zu einem kraftvoll-sinnlichen Albtraum. Der uns fiktional mitnimmt in eine europäische Bewegung, die schon längst in vieler Hinsicht Realität geworden ist.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Christian Schwochow
Darsteller:Luna Wedler; Jannis Niewöhner; Milan Peschel; Edin Hasanović; Anna Fialová; Fleur Geffrier; Aziz Dyab; Marlon Boess; Victor Boccard; Mélanie Fouché
Drehbuch:Thomas Wendrich
Kamera:Frank Lamm
Schnitt:Jens Klüber
Musik:Tom Hodge; Floex
Webseite:je-suis-karl.film;
Jugend Filmjury:Lesen Sie auch, was die Jugend Filmjury zu diesem Film sagt...
Länge:126 Minuten
Kinostart:16.09.2021
Verleih:Pandora
Produktion: Pandora Film Produktion GmbH, Negativ Film; WDR; ARD Degeto; RBB; Arte;
FSK:12
Förderer:FFA; BKM; MBB; DFFF; Film- und Medienstiftung NRW

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Die Auseinandersetzung mit der rechten Szene und den Gefahren populistischer Politik hat schon vor einigen Jahren auch das Kino erreicht. Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich aber leisten mit JE SUIS KARL jetzt einen wirklich außergewöhnlichen Beitrag zum Thema. In ihrem Film gelingt das Porträt der "neue Rechten" als einer Bewegung, die viel von den popkulturellen Formen der vormaligen Gegenkultur übernimmt und nach außen eben gerade nicht mehr so leicht von der bürgerlichen Mitte zu unterschieden ist.

Im Gegenteil, erzählt der Film eben davon, wie eine junge Frau aus explizit links-grünem Milieu in ihren Bedürfnissen gewissermaßen passgenau abgeholt wird: Als sie bei einem Bombenattentat ihre Mutter und ihre Geschwister verliert, befindet sich die von Luna Wedler gespielte Maxi in einer ausgesprochen verletzlichen Position. Sie sucht nach Erklärungen und fühlt sich von allen missverstanden, selbst vom eigenen, mittrauernden Vater (Milan Peschel). Dass jemand wie Karl (Jannis Niewöhner) in ihr Leben tritt, erscheint ihr wie ein Glücksfall, stellt sich der junge Mann doch zunächst ausgesprochen sensibel auf ihre Lage ein.

Der Film schildert höchst nachvollziehbar, was die intelligente, sensible Maxi an einer Bewegung wie "Re/Generation", wie die fiktive Neurechte sich im Film nennt, finden könnte. Statt dumpfen Glatzen mit Springerstiefel und Bomberjacken erlebt sie lauter freundliche, dabei hippe und sich ihr gegenüber offen zeigende Menschen. Dass die auch noch über große Social-Media-Kompetenz verfügen und international vernetzt scheinen, macht sie noch attraktiver. Und dass ihr in dieser Umgebung relativ einfache Erklärungsmuster für das, was ihr passiert ist, angeboten werden, macht es der jungen Frau eben auch leicht, die rassistischen und fremdenfeindlichen Untertöne zunächst zu überhören.

Mit dem Thema der Identitären und Neurechten greift der Film ein tatsächlich leider brandaktuelles Thema auf – und scheut sich nicht endlich einmal die Verführungskraft der Rechten in den Blick zu nehmen, das Faszinosum zu thematisieren, das sie für die bürgerliche Jugend darstellt. Gerade weil viele Filme es sich einfach machen, und Rechtsextreme gern als besonders trottelige Idioten darstellen, lobte die Jury den Film als großartige Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft.

Als besonders stark wurde die Nachbildung der verschiedenen Register der Popkultur – von Folk bis Rock – empfunden, die inzwischen eben auch die Rechten zu bedienen wissen. Zwar bewertete ein Teil der Jury den Plot als etwas zu schematisch – Maxi als die verführte Unschuld, Karl als ihr teuflischer Verführer – und bemängelte einen Mangel an Mysterium und Geheimnis, die dem Film mehr innere Spannung und Uneindeutigkeit, mehr Ambivalenz verliehen hätten. Doch das packende Spiel der drei Hauptdarsteller Wedler, Niewöhner und Peschel, die wirklichkeitsgetreue Verortung im dennoch leicht fiktiv gehaltenen Hier und Heute wiegt diese Art von Kritik auch wieder auf. JE SUIS KARL ist ein Film, der erschüttert und mitnimmt, weil er trotz eines hochdramatischen und höchst dystopischen Endes nie ganz unrealistisch wirkt.