Islands
FBW-Pressetext
Der neue Film von Jan-Ole Gerster entfaltet sich als fesselndes Inseldrama, in dem sich ein Tennistrainer in einem scheinbar endlosen Sommer gefangen sieht – bis eine rätselhafte Familie sein Leben durcheinanderbringt. Ein subtiles Verwirrspiel mit flüchtigen Mystery-Elementen all-inclusive, das die Abgründe seiner sonnenverwöhnten Fassaden Schritt für Schritt entblättert.Tom (Sam Riley) arbeitet auf Fuerteventura in einem All-Inclusive-Hotel als Tennislehrer im immer gleichen Trott. Bälle schlagen, flüchtige Affären und Alkohol bestimmen seinen Alltag. Die Ankunft der Familie um Anne (Stacy Martin), ihren Mann Dave (Jack Farthing) und den siebenjährigen Anton (Dylan Torrell) durchbricht diese Routine: Tom lädt sie zu einem Ausflug in die raue Vulkanlandschaft ein, doch am nächsten Tag ist Dave verschwunden – und Annes Verhalten weckt immer mehr Zweifel an den wahren Hintergründen.
In diesem kammerspielartigen Thriller unter der Sonne entfaltet sich eine Geschichte, die vor allem durch ihre subtile Zurückhaltung besticht – viel wird angedeutet, aber nur wenig ausgesprochen. So prägen den Film etwa wiederkehrende, fast meditative Momente, wie die stets gleiche Musik in der Stranddisco, was wie ein moderner UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER-Rhythmus daherkommt. Sam Riley verkörpert Tom als einen Mann, der in seiner scheinbaren Gleichgültigkeit zwischen Heimatlosigkeit und dem Drang nach Veränderung zerrieben wird. Er ist ein Gefangener im Paradies. Die bewusst kalkulierte Besetzung – etwa die fast spiegelbildliche Ähnlichkeit zwischen Tom und dem Jungen – verleiht der Geschichte eine fast literarische Tiefe, die an einen feinen englischen Roman erinnert. Jan-Ole Gerster spielt meisterhaft mit Ambivalenz und Überraschungen: Ein surreal anmutender Moment, wenn ein Kamel aus dem Meer auftaucht, mischt fast slapstickhafte Leichtigkeit unter die stetige Spannung. Und in einem Schlüsselmoment lässt Anne beiläufig erkennen, dass sie genau weiß, wer Tom wirklich ist, was das geheimnisvolle Netz aus Andeutungen weiter verstrickt. Statt eines rasanten Thrillers wird ISLANDS zur poetischen Reise an die Grenzen von Identität und Zugehörigkeit und entfaltet sich in einem Arthouse-Film mit leisen Tönen, der trotzdem eine ungeahnte Sogwirkung entwickelt und letztlich weit mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet.
Filminfos
Gattung: | Drama; Thriller; Spielfilm |
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Regie: | Jan-Ole Gerster |
Darsteller: | Sam Riley; Stacy Martin; Jack Farthing; Dylan Torrell; Fatima Adoum; Maya Unger; Bruna Cusí; Pep Ambrosu; u.a. |
Drehbuch: | Jan-Ole Gerster; Blaž Kutin; Lawrie Doran |
Kamera: | Juan Sarmiento G. |
Schnitt: | Antje Zynga |
Musik: | Dascha Dauenhauer |
Länge: | 121 Minuten |
Kinostart: | 08.05.2025 |
Verleih: | Leonine |
Produktion: | augenschein Filmproduktion GmbH, Leonine Studios; |
Förderer: | FFA; MBB; DFFF; Film- und Medienstiftung NRW |
Jury-Begründung
Der Spielfilm ISLANDS entfaltet in 123 Minuten eine vielschichtige Erzählung, die sich subtil zwischen Identitätsfindung, verdrängter Vergangenheit und menschlicher Fehlbarkeit bewegt. Regisseur Jan-Ole Gerster bleibt mit seinem neuen Film seinem Sujet treu: Männer ohne Plan, gefangen in einer Welt, die ihnen Möglichkeiten bietet, aber keine Richtung vorgibt.Im Mittelpunkt steht Tom, ein Tennistrainer in einem Ferienkomplex auf Fuerteventura, der seine Tage zwischen Unterrichtsstunden, Alkohol und bedeutungslosen Affären verbringt. Mit der Ankunft der Familie Maguire gerät sein trostloser Alltag ins Wanken. Besonders Anne, die ihn an jemanden aus seiner Vergangenheit erinnert, weckt in ihm unerwartete Emotionen. Als ihr Mann Dave verschwindet und die Polizei ermittelt, geraten sowohl Anne als auch Tom unter Verdacht. Doch ISLANDS ist weit mehr als ein Kriminalfall – das Drehbuch lenkt geschickt falsche Fährten und spielt mit Genreversatzstücken, ohne sich auf eine eindeutige Richtung festzulegen.
Die große Stärke des Films liegt in seiner Subtilität. Die Geschichte entwickelt sich über Andeutungen und visuelle Parallelen, statt eindeutige Antworten zu liefern. Hinweise werden raffiniert platziert, doch der Zweifel überwiegt stets. Die Kamera nutzt gezielte Schwenks, um Situationen miteinander zu verknüpfen und Spannungsfelder aufzubauen. Immer wieder erscheinen Szenen, die offenbar unabhängig voneinander sind, später in einem neuen Licht. Wohl komponierte Einstellungen, in denen z.B. die Parallelen zwischen Tom und Anton, dem Sohn der Maguires, herausgearbeitet werden, geben dem Publikum einen reizvollen Wissensvorsprung.
Die Charaktere, bis hin zu den Nebenfiguren, sind nuanciert gezeichnet. Tom, der zurückgenommen, wie verkapselt, aber nie spannungsarm von Sam Riley verkörpert wird, lädt nicht zur direkten Identifikation ein, doch man wünscht ihm, dass er endlich aufwacht und handelt. Auch Dave, zunächst als Antagonist gezeichnet, wirkt letztlich wie eine extreme Version von Tom – ein Mahnmal dafür, was passieren kann, wenn man sich selbst verliert. Insgesamt herrscht, bei aller Ambivalenz, ein generelles Wohlwollen gegenüber den gezeigten Figuren, das verhindert, dass sie für einen emotionsgeladenen Effekt geopfert werden. Es wird klar: die Fehlerhaftigkeit ist inhärenter Teil des Menschseins.
Ein zentrales Motiv ist das Tennis. Tom spielt anfangs nur Bälle zu, lobt stoisch die reichen Urlauber:innen, zeigt kein wirkliches Interesse oder Engagement – ein ehemaliges Talent, dessen Schulter ihn im Stich gelassen hat. Doch in einer finalen, fast symbolischen Auseinandersetzung kehrt er zur alten Größe zurück. Diese sportliche Metapher spiegelt auch seinen inneren Kampf wider.
Visuell erzeugt der Film starke Kontraste: die scheinbare Idylle der Insel, die trostlose Wiederholung in Toms Alltag (z.B. das Aufwachen an ständig anderen Orten), das Spiel mit Licht und Schatten, mit nahen und weiten Einstellungen. Besonders gelungen sind die wiederkehrenden Motive, etwa das Kamel, die das Drehbuch verdichten und mit immer neuen Beziehungspunkten für überraschende Wendungen sorgen.
Die Musik spielt mit den Erwartungen eines Crime-Plots, ohne diesen zu überbetonen. Die Strand-Disco, in der stets derselbe Song läuft, verstärkt das Gefühl der Wiederholung und Stagnation – fast als ironischer Kommentar auf das Setting eines Feriendomizils.
ISLANDS ist anspruchsvolles Arthouse-Kino, das Geduld erfordert, aber mit einer reichen Erzählebene und atmosphärischer Dichte belohnt. Trotz seiner Länge gelingt es dem Film, Spannung aufzubauen und die Vielschichtigkeit seiner Figuren zu wahren.