Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
In statischen und ausdrucksstarken Bildtableaus führt uns Michael Schwarz mit seinem viertelstündigen Film mitten hinein in die Räumlichkeiten eines stylishen Business-Hotels. Strenge Linien, glatte Formen, matte Farben – man glaubt, sich auszukennen, und doch ist irgendetwas anders. Es sind nur wenig Menschen zu sehen, plötzlich taucht Security auf, dazu auf der Tonspur Fragmente persönlicher Biografien. Die formierte Klarheit und Ruhe in den Bildern, die Illustration gesellschaftlicher Ordnung, mit der durch Aufräumen, Putzen und Desinfizieren Hygieneregeln durchgesetzt werden, setzt Michael Schwarz in spannenden Kontrast zu den Erzählungen der wohnungslosen Menschen, deren Biografien aus Sicht gesellschaftlicher Normen so gegenläufig erscheinen, disruptiv, unordentlich. INNDEPENDENCE gibt uns Zeit, uns auf diese Gegenüberstellung einzulassen, die Protagonist*innen kennenzulernen, von ihrem Leben auf der Straße zu erfahren und herauszuhören, was ihnen dieser Hotelaufenthalt bedeutet: 64 Tage lang dürfen sie das Mainzer Hotel während des Corona-Lockdowns bewohnen, um dann wieder ausziehen zu müssen. Trotz der nur kurzen Spieldauer sorgen die Klarheit der Bilder, die naturalistisch gestaltete Tonspur sowie die präzise Montage für eine erstaunliche Nähe zu den Protagonist*innen. Gleichzeitig eröffnet der vielschichtige und sehr gelungene Film dabei auf angenehm natürliche Weise Einsichten in die nähere Beschaffenheit jenes Paradoxons, das die bloße Existenz von Wohnungslosigkeit in unserer Wohlstandsgesellschaft darstellt.