In jenen Tagen
Jurybegründung
Bei der Erteilung des höchsten Prädikates stand der Bewertungsausschuss unter dem Eindruck eines wohl einmaligen Zeitdokumentes aus der Geschichte des deutsches Spielfilms, eines Zeitdokumentes, das durch unvorstellbare Schwierigkeiten und Entbehrungen geprägt wurde. Die tief anrührende Menschlichkeit, aber auch die Wirklichkeitsnähe dieses Films sind seitdem im deutschen Spielfilm kaum wieder erreicht worden. Nirgends macht sich hier jener oberflächlich bestechende Glanz der Perfektion oder die beklagenswerte Routine unserer derzeitigen Filmschauspieler bemerkbar. Von der Wiederaufführung dieses außergewöhnlichen Films möchte man sich daher eine heilsame Rückwirkung auf die gegenwärtige Filmproduktion in Deutschland versprechen.Mitten in einer Zeit, in der die deutschen Menschen noch ganz unter dem Eindruck des Zusammenbruchs und einer nationalen Schuld standen, haben Ernst Schnabel und Helmut Käutner in dem Drehbuch ein wahrhaftiges, unwiderlegbares Spiegelbild „jener Tage“ aufgerichtet. Dieses Spiegelbild wirkt deshalb so glaubwürdig, so überzeugend und zugleich auch erschütternd, weil es aus der Darstellung ganz unauffälliger Menschenschicksale hergeleitet wurde, ohne diesen Schicksalen die geringste Spur von Pathos oder Tendenz beizumischen. Eben deshalb wirken die einzelnen Episoden des Films so stark. Sie sind bis hinein in die Milieuzeichnung auf eine erstaunliche Weise unverfälscht.
Den beiden Drehbuchautoren, der Regie und den Schauspielern ist es tatsächlich gelungen, die verborgene Menschlichkeit jener furchtbaren Jahre tröstlich ans Licht zu bringen, ohne die Schrecken und die Verbrechen jener Zeit im mindesten zu beschönigen. Gerade weil der Film mit so sparsamen, weil menschlichen Mitteln arbeitet, kann er etwa in der Frage der deutschen Schuld an den Juden auch heute noch ungleich eindringlicher wirken als noch so bombastische Demonstrationen und Beteuerungen. Der Betrachter wird sozusagen an den menschlichen Kern der Schuldfrage zurückgenötigt. Wenn Bienert während der sogenannten Kristallnacht einen der bereitgelegten Steine aufnimmt und in das Schaufenster seines eigenen, „arisch“ firmierten Geschäftes wirft, dann hat der Film mit einer einzigen, knapp akzentuierten Bildfolge die ganze Tragödie jener Nacht zusammengerafft.
Es ist in erster Linie der großen Regiekunst von Helmut Käutner zu danken, dass der Film so menschlich und aufrüttelnd wirkt. Käutner hat jede einzelne Episode auf besondere Weise und mit jeweils eigenen Stilmitteln in eine geschlossene Form gebracht. Man braucht nur die Autofahrt der Frau Wieland und ihrer Schwester mit der Autofahrt des Obergefreiten und des Leutnants an der Ostfront zu vergleichen, um zu erkennen, wie differenziert die jeweiligen Mittel der Regie und der Kamera auf den unterschiedlichen inneren Habitus der einzelnen Episoden abgestimmt sind. Mit der Bildfolge von der Autofahrt an der Ostfront hat der Film binnen weniger Minuten ein Sinnbild vom Schicksal des deutschen Landsers an der Ostfront, ja darüber hinaus vom deutschen Volk auf seinem Weg in die Katastrophe eingefangen.
Die Szenerie der einzelnen Episoden entspricht, zumal in der optischen Atmosphäre, vollkommen der damaligen Realität. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die meisten Bildfolgen im Freien gedreht wurden. Nur im Notfall hat die Regie sogenannte Bauten zur Hilfe genommen.
Die schauspielerischen Leistungen sind ausnahmslos hervorragend, doch reicht eine so allgemein anerkennende Bemerkung nicht an die eigentlichen Leistungen der Schauspieler heran. Die bemerkenswerte Intensität menschlicher Verwirklichung in den verschiedenen Rollen entspricht der Fragestellung des Films nach dem Vorhandensein und der Art des Menschen. Die fast nahtlose Identifizierung der Schauspieler mit dem menschlichen Schicksal und Habitus ihrer Rolle gehört heute, dreizehn Jahre nach der Herstellung des Films, zu den größten, aber auch wehmütigsten Überraschungen, die seine Wiederkehr auslöst. Es fällt auf, dass einige Schauspieler und Schauspielerinnen aus diesem Film seitdem im deutschen Film nicht mehr zu sehen waren.
Über die für heutige Verhältnisse mangelhafte Tontechnik meinte der Ausschuss angesichts der damaligen Schwierigkeiten hinwegsehen zu dürfen.
Filminfos
Kategorie: | Spielfilm |
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Gattung: | Episodenfilm |
Regie: | Helmut Käutner |
Darsteller: | Erich Schellow; Gert Schaefer; Winnie Markus; Werner Hinz; Karl John; Erich Weiher; Elly Klippe; Franz Schafheitlin; Alice Treff; Hans Nielsen |
Drehbuch: | Helmut Käutner; Ernst Schnabel |
Kamera: | Igor Oberberg |
Schnitt: | Wolfgang Wehrum |
Musik: | Bernhard Eichhorn |
Länge: | 87 Minuten |
FSK: | 16 |
Jury-Begründung
Bei der Erteilung des höchsten Prädikates stand der Bewertungsausschuss unter dem Eindruck eines wohl einmaligen Zeitdokumentes aus der Geschichte des deutsches Spielfilms, eines Zeitdokumentes, das durch unvorstellbare Schwierigkeiten und Entbehrungen geprägt wurde. Die tief anrührende Menschlichkeit, aber auch die Wirklichkeitsnähe dieses Films sind seitdem im deutschen Spielfilm kaum wieder erreicht worden. Nirgends macht sich hier jener oberflächlich bestechende Glanz der Perfektion oder die beklagenswerte Routine unserer derzeitigen Filmschauspieler bemerkbar. Von der Wiederaufführung dieses außergewöhnlichen Films möchte man sich daher eine heilsame Rückwirkung auf die gegenwärtige Filmproduktion in Deutschland versprechen.Mitten in einer Zeit, in der die deutschen Menschen noch ganz unter dem Eindruck des Zusammenbruchs und einer nationalen Schuld standen, haben Ernst Schnabel und Helmut Käutner in dem Drehbuch ein wahrhaftiges, unwiderlegbares Spiegelbild „jener Tage“ aufgerichtet. Dieses Spiegelbild wirkt deshalb so glaubwürdig, so überzeugend und zugleich auch erschütternd, weil es aus der Darstellung ganz unauffälliger Menschenschicksale hergeleitet wurde, ohne diesen Schicksalen die geringste Spur von Pathos oder Tendenz beizumischen. Eben deshalb wirken die einzelnen Episoden des Films so stark. Sie sind bis hinein in die Milieuzeichnung auf eine erstaunliche Weise unverfälscht.
Den beiden Drehbuchautoren, der Regie und den Schauspielern ist es tatsächlich gelungen, die verborgene Menschlichkeit jener furchtbaren Jahre tröstlich ans Licht zu bringen, ohne die Schrecken und die Verbrechen jener Zeit im mindesten zu beschönigen. Gerade weil der Film mit so sparsamen, weil menschlichen Mitteln arbeitet, kann er etwa in der Frage der deutschen Schuld an den Juden auch heute noch ungleich eindringlicher wirken als noch so bombastische Demonstrationen und Beteuerungen. Der Betrachter wird sozusagen an den menschlichen Kern der Schuldfrage zurückgenötigt. Wenn Bienert während der sogenannten Kristallnacht einen der bereitgelegten Steine aufnimmt und in das Schaufenster seines eigenen, „arisch“ firmierten Geschäftes wirft, dann hat der Film mit einer einzigen, knapp akzentuierten Bildfolge die ganze Tragödie jener Nacht zusammengerafft.
Es ist in erster Linie der großen Regiekunst von Helmut Käutner zu danken, dass der Film so menschlich und aufrüttelnd wirkt. Käutner hat jede einzelne Episode auf besondere Weise und mit jeweils eigenen Stilmitteln in eine geschlossene Form gebracht. Man braucht nur die Autofahrt der Frau Wieland und ihrer Schwester mit der Autofahrt des Obergefreiten und des Leutnants an der Ostfront zu vergleichen, um zu erkennen, wie differenziert die jeweiligen Mittel der Regie und der Kamera auf den unterschiedlichen inneren Habitus der einzelnen Episoden abgestimmt sind. Mit der Bildfolge von der Autofahrt an der Ostfront hat der Film binnen weniger Minuten ein Sinnbild vom Schicksal des deutschen Landsers an der Ostfront, ja darüber hinaus vom deutschen Volk auf seinem Weg in die Katastrophe eingefangen.
Die Szenerie der einzelnen Episoden entspricht, zumal in der optischen Atmosphäre, vollkommen der damaligen Realität. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die meisten Bildfolgen im Freien gedreht wurden. Nur im Notfall hat die Regie sogenannte Bauten zur Hilfe genommen.
Die schauspielerischen Leistungen sind ausnahmslos hervorragend, doch reicht eine so allgemein anerkennende Bemerkung nicht an die eigentlichen Leistungen der Schauspieler heran. Die bemerkenswerte Intensität menschlicher Verwirklichung in den verschiedenen Rollen entspricht der Fragestellung des Films nach dem Vorhandensein und der Art des Menschen. Die fast nahtlose Identifizierung der Schauspieler mit dem menschlichen Schicksal und Habitus ihrer Rolle gehört heute, dreizehn Jahre nach der Herstellung des Films, zu den größten, aber auch wehmütigsten Überraschungen, die seine Wiederkehr auslöst. Es fällt auf, dass einige Schauspieler und Schauspielerinnen aus diesem Film seitdem im deutschen Film nicht mehr zu sehen waren.
Über die für heutige Verhältnisse mangelhafte Tontechnik meinte der Ausschuss angesichts der damaligen Schwierigkeiten hinwegsehen zu dürfen.