Himmel wie Seide. Voller Orangen

Filmplakat: Himmel wie Seide. Voller Orangen

FBW-Pressetext

Es ist der 3. April 1990. In Berlin-Schönefeld startet die erste Interflugmaschine aus der DDR nach Palma de Mallorca. Die Passagiere sind aufgeregt, sie haben so lange auf diesen Tag gewartet – und eine unglaublich hohe Summe dafür gezahlt. Doch als sie auf Mallorca landen, aus dem Flugzeug aussteigen, die warme Luft spüren und die vielen strahlenden Farben um sich herum sehen, hat sich das alles gelohnt. Die neugierigen Blicke, durch die man sich fühlt wie Tiere im Zoo. Die gönnerhaften Kommentare der „reiseerfahrenen“ Westdeutschen, mit denen man ja nun eigentlich eins ist, sich aber so weit entfernt voneinander fühlt. Und das Gefühl der Überforderung durch all die Eindrücke einer neuen Welt, die sich plötzlich auftut. Ob man dafür bereit ist oder nicht. Für ihren neuen Kurzfilm begibt sich Betina Kuntzsch zurück in die auch eigenen Erinnerungen an eine Zeit im deutsch-deutschen Umbruch. Geschickt und in mühevoller Kleinstarbeit setzt sie Fotos, Ausschnitte, Urlaubsprospekte und alle möglichen papiernen Memorabilia zusammen und erschafft, zusammen mit eigenen witzigen Bildideen ein Urlaubsfotoalbum der ganz besonderen Art. Auf der Tonebene (Erzählstimme: Valeska Hegewald) erzählt Kuntzsch mit augenzwinkernder Ironie die Geschichte einer Sehnsuchtserfüllung, die aber nicht ganz unbelastet daherkommt und ganz subtil so viele Befindlichkeiten zwischen Ost und West nachvollziehbar macht, ohne aber mit dem Holzhammer zu agieren. HIMMEL WIE SEIDE. VOLLER ORANGEN ist witzig, kreativ, originell und äußerst klug. Ein wunderbares Beispiel für einen Kurzfilm, bei dem Form und Inhalt perfekt zusammenpassen.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Wenige Monate nach dem Mauerfall im Jahre 1989 gab es die ersten Pauschalreisen aus der DDR nach Mallorca. Betina Kuntzsch hat aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Gespräche mit Zeitzeug*innen gehören, diesen historischen Moment rekonstruiert. Auf der Tonebene nutzt sie dabei das Stilmittel eines Reiseberichts: Eine fiktive Teilnehmerin an der Urlaubstour erzählt in der Ich-Form von ihren Reiseeindrücken und durch diese subjektive Perspektive gelingt es Kuntzsch, mit viel Humor sowie einer Fülle von Details und Informationen die Stimmung und die vielen Absonderlichkeiten dieser Reise sehr anschaulich darzustellen. Auf der Bildebene hat sie dazu im Stil eines Fotoromans Postkarten, Urlaubsfotos und Dokumente zu einer bunten Collage montiert. Ton- und Bildebene ergänzen einander perfekt, und so gelingt es der Filmemacherin, ein authentisches Stimmungsbild von dieser Reise zu machen, die für die Ostdeutschen voller Entdeckungen und neuen Erfahrungen ist. Die Menschen begeistern sich für die hell leuchtenden Farben und darüber, dass man Orangen von den Bäumen pflücken kann. Sie lernen, dass der Plastebeutel im Westen ‚Plastiktüte‘ heißt und überraschen das Hotelpersonal dadurch, dass sie sich für alles bedanken und ihre Zimmer selber aufräumen. Mallorca war für viele von ihnen ein Sehnsuchtsort, aber sie assoziieren, anders als die Westdeutschen, damit nicht den Ballermann, sondern eher den Ort, an dem Chopin und George Sand gelebt haben. Der freundliche Plauderton der Erzählerin ist zugleich witzig und subversiv, denn hier wird sowohl von den Diskrimierungserfahrungen der Ostdeutschen im Westen erzählt als auch von der hoffnungsvollen Aufbruchsstimmung jener Zeit. HIMMEL WIE SEIDE: VOLLER ORANGEN zeigt, wie unterhaltsam, informativ, komplex und originell ein historisches Thema in einem Kurzfilm verarbeitet werden kann, und so entschied sich die begeisterte Jury für die Vergabe des Prädikats „besonders wertvoll“.