Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Was wäre, wenn ein neugewählter Papst das Amt einfach nicht annehmen würde? Diese Frage stellt Nanni Moretti in seinem neuen Spielfilm, der keine bissige Satire über die Machtpolitik im Vatikan sein will, sondern eine Komödie, in der die hohen Würdenträger der katholischen Kirche eher mit sanftem Spott als mit zorniger Polemik vom Sockel geholt werden. Moretti beginnt in einem fast dokumentarischen Stil mit der Beerdigung des alten und der Wahl des neuen Papstes. Die Kardinäle spicken bei der Auswahl ihrer Wunschkandidaten wie Schuljungen auf die Wahlzettel der Nebenmänner, klopfen nervös mit den Bleistiften auf den Tischen und jeder betet zu Gott, dass nur nicht er auserwählt wird. Wenn die Entscheidung dann auf einen französischen Kardinal mit dem Namen Melville fällt, ist dies schon ein literarischer Hinweis auf das Kommende, denn der Titelheld von Herman Melvilles Erzählung „Bartleby der Schreiber“ verweigert sich mit dem berühmten Ausspruch „Ich möchte lieber nicht“. Der von Selbstzweifeln geplagte Papst wird von Michel Piccoli als eine komplexe, zutiefst menschliche Figur gezeigt, die sich zuerst nur verweigert, dann aber auch aus dem Vatikanstaat „ausbüxt“ (ein im Kontext legerer Begriff, der aber als Tagline seine Funktion erfüllen dürfte). Mit minimalen Mitteln lässt Piccoli auf seinem Gesicht das Erstaunen über eine für normale Sterbliche ganz banale Busfahrt aufblitzen. Es ist eine geschickte Volte von Moretti, dass er ihn mit Schauspielern und durch sie mit dem Theater von Anton Tschechow zusammenführt, denn zum einen erinnert dieses ihn an seine Jugend, als seine Schwester pausenlos Tschechow rezitierte, und zum anderen haben die Stücke des Russen eine ähnlich skeptische Weisheit wie die Selbstbefragung von Melville. Auf einer anderen Ebene inszeniert Moretti sich wie in alle seinen Filmen wieder selbst. Er spielt „den allerbesten Psychoanalytiker“, wie seine Figur nicht müde wird zu betonen, der ursprünglich in den Vatikan gerufen wird, um den designierten Papst zu kurieren, dann aber eher die Kardinäle bei Laune hält, die die Konklave nicht auflösen dürfen, solange der neue Papst nicht sein Amt nicht angetreten hat. Dabei sind die Kardinäle durchgängig wunderbar besetzt. Mit ihren Gesichtern, die die Macht und das Gewicht ihrer Ämter widerspiegeln, wirken sie authentisch, auch immer ein wenig komisch. In der verlängerten Konklave werden sie auch zu kleinen Jungen im Ferienlager und man merkt Moretti die diebische Freude an, die es ihm bereitet, wenn sein alter ego (denn dies sind alle von ihm gespielten Filmfiguren) ein wenig das Steuer im Vatikan übernimmt, die Kardinäle streng nach ihrer Medikation befragt und schließlich ein Volleyball Turnier mit ihnen organisiert. Moretti macht sich hier einen sehr komplexen und intelligenten Spaß mit der katholischen Kirche, und dabei trifft sein warmer, kenntnisreicher Blick vielleicht tiefer ins Innere der antiquierten Institution als es im Rahmen einer zornigen Polemik möglich gewesen wäre.