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Filmplakat: getty abortions

FBW-Pressetext

Noch immer stellt eine Abtreibung in Deutschland eine Straftat dar, obwohl Ausnahmen wie die einer sogenannten Beratungsregelung entkriminalisieren sollen. Doch auch medial wird das Thema Abtreibung mal offensiv und mal kaum merklich an den Pranger gestellt. GETTY ABORTIONS von Franzis Kabisch stellt sich den Anfeindungen mit den Waffen des Journalismus. Echte Recherche ist eben besser als patriarchales Framing und Fake News. Dabei wird der Experimentalfilm zu einem Medienreflexiv und visualisiert sein Thema in einer Desktop-Ästhetik abwechslungsreich und unglaublich vielschichtig. Etablierte Denkmuster werden enttarnt und gefühlsgeleitete Appelle entkräftet. GETTY ABORTIONS ist Essayfilm und Medienkritik zugleich und stellt in seinem Diskurs Frauen wie Männern ein vermeintliches Tabuthema ganz offen und schnörkellos zur Diskussion.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Experimentalfilm
Regie:Franzis Kabisch
Drehbuch:Franzis Kabisch
Kamera:Franzis Kabisch
Schnitt:Franzis Kabisch
Musik:Katharina Pelosi; Laura Schick; Franzis Kabisch
Webseite:refreshingfilms.com;
Länge:21 Minuten
Produktion: Franzis Kabisch
FSK:12
Förderer:Queerscope Kurzfilmfonds

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

„Ich tastete meinen Bauch ab, meinen schönen Bauch, meinen wunderschönen Bauch. Ich liebe meinen Bauch, aber dann wuchs er so schnell. Immer größer, viel zu schnell und viel zu groß…“

Der erste Eindruck von Franzis Kabischs GETTY ABORTIONS hat die Jury wahrhaftig irritiert. Die Geschichte einer Abtreibung, als triviales Desktopessay. Eine Story voller irrelevanter Bilder und belangloser Texte. Belanglos ist GETTY ABORTIONS indes nicht, ganz im Gegenteil: Mit einem Mal nimmt Kabischs Film ungemein an Fahrt auf, kritisch, frech und vor allem mit ungeahnter Tiefe.

Found Footage ist eine gern genutzte Zutat experimenteller Filme und bezeichnet im Prinzip filmische Schnipsel aus vielerlei Quellen. Neu zusammengestellt ergeben diese einen inhaltlich umgedeuteten Film. Aber nicht nur kurze Sequenzen, besonders auch Fotos werden mittlerweile bewusst produziert und von Agenturen, wie Shutterstock, iStock oder Getty-Images gegen geringe Gebühr als Stock Footage angeboten. Viele Millionen vorproduzierte, katalogisierte Bilder, in denen insbesondere Printredaktionen schnell und kostengünstig Eye-Catcher für Textbeiträge finden.

Auch Franzis Kabisch nutzt in GETTY ABORTIONS diese Bilder, die so bedeutungsoffen scheinen, dass sie beinahe schon als bedeutungslos bezeichnet werden müssen. Für ihre bebilderte Abtreibungsstory hat sie Bild-Datenbanken mit Suchworten gespeist und ein umfangreiches Portfolio erhalten. Eine Fotoauswahl in pastelligen Tönen und stimmungsgeladen Farben. Im Arrangement beginnen sie ihre Wirkung heimlich, still und leise zu entfalten. Kabischs Kurzfilm zeigt: Bilder sind nicht wertfrei. Schwangerschaftstest in babyblau und zartrosa, kugelrunde, gestreichelte Babybäuche und schließlich depressive wirkende Darstellerinnen, deren Blick melancholisch in irgendeine Ferne schweift. Die Filmemacherin hat ihre Auswahl an Fotos angelehnt, die aus Zeitschriften sattsam bekannt sind. Tatsächlich finden sich dort nur selten differenzierende Bilder. Allzu oft werden medial Verzweiflung und Schwermut mit Abtreibungen verknüpft. Den Fotos entgangenen Mutterglücks werden nur selten Bilder einer erleichtert aufatmenden Frau entgegengesetzt. Klischees drängen sich vor wissenschaftliches Aufarbeiten, in Sachen Bewertungsfreiheit bleiben Lesende auf sich gestellt.

Dass Medien, mit dem schnellen Rückgriff auf Stockfotos, auf visueller Ebene Stereotypen transportieren und damit Meinungen machen, ist manchen Journalist:innen nicht einmal selbst bewusst, wie viel weniger dürfte das den Leser:innen gewahr sein. Quote, bzw. Auflagenzahl bestimmen zunehmend Recherche und Ergebnis. Wie Letzteres auch aussehen könnte, entlarvt Franzis Kabischs GETTY ABORTIONS im Fortlauf ihres Films. Dort beschreibt sie keine synthetisch generierte, fiktive Abtreibung, sondern eine ganz reale: die, die sie vor einigen Jahren selbst hat vornehmen lassen. Das Bildangebot hierzu ist naturgemäß zwar eher spärlich, die Geschichte dagegen authentisch. Es findet sich dementsprechend nicht der singuläre Verweis auf Gedankenschwere und Depression, sondern ein mitunter genauso widersprüchlicher, wie unverfälschter Gefühlsmix.

GETTY ABORTIONS macht deutlich, dass der gesellschaftliche Blick auf den Fötus männlich ist, und zeigt, wie selten Frauen selber in der Diskussion um Abtreibung Beachtung finden und gefunden haben. Kabischs Recherche dehnt sich dabei von medizinischen Ansätzen des 19. Jahrhunderts, bis hin zu Artikeln der Bravo ihrer Jugend. Das klingt wie schwere Kost, aber Kabischs fröhliches Desktop-Essay führt die Jury mit sicherer Hand durch die Materie – immer den Blick darauf gerichtet, dass es keine wertfreie Darstellung gibt. Und so erklärt sich den Zuschauern auch ganz schnell die Frage: wem nützt der Einsatz von Stock-Images? Richtig! Einer konservativen Weltsicht, die sich nicht traut, Dinge in Frage zu stellen, sei es aus klerikalen, politischen oder, wie in den Redaktionen, auch wirtschaftlichen Gründen.

Franzis Kabisch hat die Jury vollends überzeugt. GETTY ABORTIONS schult hervorragend in Medienkompetenz und vergleichender Bildanalyse, ist aber mindestens genauso stark in puncto gesellschaftlicher Aufklärung. Seine vielschichtige Desktopästhetik verleiht dem Film die notwendige Ungeniertheit, die es braucht, um einerseits gegen etablierte ästhetische Gewohnheiten anzustinken und andererseits bei seiner Zielgruppe zu landen. Wenn Inhalt und Form in solcher Vollendung an einem Strang ziehen, dann kann die Jury gar nicht anders, als einstimmig das Prädikat BESONDERS WERTVOLL zu verleihen.