Exile Never Ends

Kinostart: 04.07.24
2024
Filmplakat: Exile Never Ends

FBW-Pressetext

In ihrem Langfilmdebüt erzählt Bahar Bektas die Geschichte ihrer alevitisch-kurdischen Familie, die in den 1980er Jahren nach Deutschland geflohen ist. Der Dokumentarfilm nimmt die Zuschauenden mit auf eine sehr persönliche Reise in eine Familiengeschichte, die beispielhaft für viele Migrations-Schicksale steht. Eine reflektiert erzählte, berührende und sehr persönliche Geschichte.

Bei der Abschiebung von Taner Bektas handelt es sich um eine Abschiebung, die selbstgewählt ist. Denn der 40-Jährige will lieber in die Türkei, um dort ein neues straffreies Leben anzufangen, als sich ewig in die Hände der deutschen Justiz zu begeben. Taners Schwester Bahar macht sich Sorgen um ihren Bruder. Und sie will die Zeit, die es bis zur Abschiebung dauert, nutzen, um eine Geschichte zu ergründen. Die Geschichte ihrer Eltern, die als alevitische Kurden im Jahr 1989 aus der Türkei nach Deutschland geflohen sind. Die Geschichte eines Neuanfangs in einem fremden Land, in dem man Fremden mit Ablehnung und rassistischen Parolen begegnete. Und die Geschichte einer Rückkehr zu den Wurzeln in der Türkei, von der sie selbst fast gar nichts mehr weiß. Mit der sie aber immer verbunden sein wird.

In ihrem Langfilmdebüt nimmt die Filmemacherin Bahar Bektas die Zuschauenden mit auf eine persönliche Reise zu den Wurzeln ihrer eigenen Familie. Bektas geht offen mit der problematischen Situation rund um ihren inhaftierten Bruder um, lässt ihn selbst zu Wort kommen, macht deutlich, wie schwierig die Situation auch für die andere Familienmitglieder ist und zeigt auch ihre eigenen ambivalenten Gefühle. Da sie selbst als Protagonistin zur Geschichte gehört, vertraut sie die Kameraarbeit Antonia Kilian und Meret Madörin an, die wunderbare komponierte Einstellungen finden, um die Familie immer wieder zueinander in Beziehung zu setzen. Vor allem das Schlussbild am Strand, an dem sich Bektas, ihre Mutter und ihr Bruder versammeln, Taner über den Laptop in ihre Mitte setzen und dann einfach in die Ferne schauen, trägt in sich eine starke Botschaft eines familiären Zusammenhalts und eines Gefühls zwischen einer alten Heimat, die noch als Sehnsuchtsort fungiert, und der neuen Heimat, in der die Familie mit großen Hürden zu kämpfen hatte, bis man sich dort wirklich so etwas wie Beständigkeit aufbauen konnte. EXILE NEVER ENDS steht beispielhaft für die Geschichte von Familien mit Migrationshintergrund, für die Sichtweise sowohl der Eltern als auch der nachfolgenden, bereits in Deutschland aufgewachsenen Generation und zeigt, dass man das, was man verlassen musste, immer im Herzen mit sich trägt. Und sich in dem Ort des Neubeginns immer ein bisschen fremd fühlen wird. Weil das Exil niemals endet.

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Bahar Bektaş
Drehbuch:Bahar Bektaş; Arash Asadi; Tobias Carlsberg
Kamera:Antonia Kilian; Meret Madörin
Schnitt:Arash Asadi
Musik:Ahmet Aslan
Webseite:jip-film.de;
Länge:100 Minuten
Kinostart:04.07.2024
Verleih:JIP Film und Verleih
Produktion: Pink Shadow Films, ZDF/Das kleine Fernsehspiel;
FSK:12
Förderer:HessenFilm und Medien

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Die Familiengeschichte, die die Regisseurin Bahar Bektas in EXILE NEVER ENDS dokumentarisch enthüllt, ist so fesselnd wie ungewöhnlich. Die Krisensituation, in der einer ihrer zwei Brüder in Deutschland im Gefängnis sitzt und freiwillig die Abschiebung in die Türkei wählt, um eventuell schneller aus der Haft entlassen zu werden, nimmt Bektas zum Anlass, die Herkunft und den Werdegang der Eltern zwischen Türkei und Deutschland zu befragen. Sie dreht dazu sowohl in Deutschland, im Haus der Eltern, in ihrer eigenen Wohnung, in der des zweiten Bruders, als auch in der Türkei, wo sie mit Unterstützung von Vater, Mutter und Bruder das großelterliche Haus fertigmachen wollen. Denn in diesem soll der Bruder schließlich leben. Viele Gespräche finden per Zoom, Skype oder Mobiltelefon statt und werden auch so gefilmt.

Die endgültige Entscheidung über die Abschiebung verschiebt sich immer wieder. Dabei erfährt man in EXILE NEVER ENDS sowohl über die administrativen Details wie auch über die begangenen Straftaten des Bruders nur sehr wenig. Stattdessen bringt Bektas ihre kurdisch-alevitischen Eltern zum Erzählen über die Türkei, in der sie aufgewachsen sind, aber auch über die Gründe, weshalb sie ins Exil mussten, und ihre Erfahrungen in Deutschland.

Mit langen atmosphärischen Einstellungen, die immer wieder die Landschaft zeigen und geduldig auf schweigenden Gesichtern verharren, zeichnet Bektas ein stimmungsvolles Porträt der Erfahrungen von Gewalt, Exil und der Schwermut, die daraus resultiert und durch die Generationen weitergegeben wird. Viele Dinge, wie etwa die Erlebnisse mit Ausländerfeindlichkeit in Deutschland werden zu kurz angesprochen, ähnliches gilt aber auch für das politische Engagement der Eltern, von dem die Jury gern erfahren hätte, wie sie heute darüber denken, und was sich geändert hat.

Die Jury hatte am Ende leider mehrheitlich das Gefühl, dass der Film seine Struktur nicht ganz gefunden und nach zwei Dritteln der Filmlänge sein Thema quasi auserzählt hat. Die durch die langen Einstellungen gegebene Einladung zur Reflexion hatte sich erschöpft und beginnt fast ein wenig kontraproduktiv zu wirken, weil die Schilderung der von allen Familienmitgliedern geteilten Depression nicht mit der Beobachtung, wie liebevoll sie alle miteinander umgehen, zu übereinstimmen scheint. Auch, so die Meinung der Jury, inszeniert sich die Regisseurin eventuell ein wenig zu oft selbst im Film und stört damit das eigene Vorhaben einer Beobachtung.

In Anerkennung der dargelegten Qualitäten und in Abwägung aller ausgetauschten Argumente verleiht die FBW-Jury im Anschluss an eine ausführliche und spannende Diskussion dem Film EXILE NEVER ENDS gerne das Prädikat ‚wertvoll‘.