Jurybegründung
Der Film erhielt einstimmig das höchste Prädikat.„Hinter de sieben Bergen“ liegt eine sonderbare Stadt. Sie kann auch ein Dorf sein, oder die menschliche Gesellschaft; sie kann bürgerlich sein oder sozialistisch. Eine Stadt der Phantasie, aber zu allererst ist sie polnisch.
Der Einleitungs-, eigentlich mehr Einstimmungstext ist eine Art von Ballade, begleitet von einer Musik, wie sie in Moritaten verwendet wird. Der ängstliche Turmhahn, der alles sieht und, um ruhig sitzen bleiben zu können, zu allem schweigt; und dann im gleichen Schwenk die Turmuhr, vielmehr der Platz, an dem sie eben noch war – unten auf der Straße sind Diebe gerade dabei, sie wegzutransportieren. Aber trotz dieses märchenhaften Anfangs und der fehlenden Uhr liegt die Stadt nicht so ganz außerhalb der Zeit.
Bevölkert wird sie in der Hauptsache von zwei Gruppen von Menschen: von Ganoven aller Schattierungen und von den Hütern der Ordnung übrigens, die es in der Stadt eigentlich nicht gibt. Die Hauptperson aber ist eine Fremde, ein junges Mädchen, das arglos und naiv durch alle die Schatten und all das Gelichter hindurchgeht, vor den Polizisten mehr Angst hat als vor den Verbrechern, das übrigens von beiden Seiten freundliche Hilfe erfährt, das nichts weiter will, als einen Platz zum Schlafen finden, denn am nächsten Morgen beginnt in der Stadt das Studium. Gibt es in dieser Stadt doch eine Ordnung? Ja. Aber sie ist nicht gesellschaftlich, nicht sozial, nicht organisiert. Sie ist ganz und gar individuell, gar nicht „human“, sondern nur menschlich.
Ein erstaunlicher Film aus dem Polen von 1957. Erstaunlich schon in seiner Verbindung von poetischem Charme und Kritik. Wie von altersher die Fabel, wird hier (einer heutigen Übung auch in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang entsprechend) das Märchen zum Kostüm, in dem die Parodie, die Kritik, der Antifunktionär auftreten. Eine eigenartige Poesie, die verspottet, die trotz stellenweiser Gefährdung durch harte Realität nie ganz verloren geht. Der Spott ist liebenswürdig und hält die gleiche kritische Distanz von den Ganoven wie von den Polizisten. Polizisten und Ganoven sind, wie man dann auf die erheiterndste Weise sieht, ohnedies austauschbar. Das Paradies auf Erden, das Paradies einer Klasse, gehört nicht mehr zum Programm. Wenn eine Vorstellung davon da ist, dann in der Verkörperung eines Menschen, in dem unschuldigen Mädchen, das einen Platz zum Schlafen sucht in einer nächtlichen Stadt.
Erstaunlich auch, wie dieser Film nach Jahren unsere Vorstellung von der polnischen Filmkunst – viel Grau und schwarze Schatten, Anklage und Probleme – korrigiert, wie diese gelungene Komödie das dunkle Bild aufhellt. Eine Komödie, die durchaus altbekannte Wurzeln hat: in der frühen Stummfilmzeit, Chaplinaden, noch weiter zurück in Märchen, Moritat und Romantik; aber vorgeführt mit der Beherrschung neuester fotografischer Filmeffekte. Was daraus entwuchs, ist etwas vollkommen Eigenständiges; in einer seiner rhythmischen Musikalität, beiden entgegengesetzten Ideologien, in die die ganze Welt heute angeblich geteilt ist, Bildgedicht eines fast romantischen polnischen „Lynkeus“, es realisiert sich in einer humorvollen Koexistenz von Verbrechern und Polizei, wobei Humor schon dadurch entstehen muß, daß beiden Seiten die menschlichen Unzulänglichkeiten gemeinsam sind; drohend erhobene Ziegelsteine kapitulieren vor unangreifbarer Unschuld, beliebte Filmvorwürfe des Ostens und des Westens werden in gleicher Weise parodiert: soziale Errungenschaften wie das „Arbeiterinnenhotel“, in dem männliche Besuche strikt verboten sind; aber keineswegs nicht allabendlich vorhanden sind, oder Musterbilder westlicher Dekadenz, z. B. Prostitution, hier dargestellt in einem ältlichen Straßenmädchen, das am warmen Wollschal für die ganzen alten Tage strickend auf Kundschaft wartet, vergeblich, wie zu vermuten steht, schon weil die „bürgerliche“ Konkurrenz, im „Arbeiterinnenhotel“ etwa, recht aktiv ist. Da ist der Polizeigewaltige, der durch seinen Kontrollbesuch in der Stadt dem Film zu einer köstlichen Serie von gar nicht oberflächlichen Gags verhilft, der beim Telefonieren den Hörer einer Ordonanz übergibt, um in Volksrednerstellung Musterbeispiele politischer Rhetorik eindeutiger Herkunft loswerden zu können; da ist der Verbrecher, der von woanders her ausgeliehen wird, um das Soll von Gefängnisinsassen in der Stadt zu erfüllen; da stehen den dummen Polizisten ungenügend begabte Verbrecherlehrlinge gegenüber. Auch eine anti-ideologische Masche ist dem Film fremd. Er vermeidet die in jeder Szene gewissermaßen rechts und links lauernde Gefahren der Vergröberung, des Stilbruchs, der Sentimentalität und eines unmittelbaren Realismus. Ein wenig sieht er das ganze Treiben wohl durch die Augen des Mädchens Eva, mit einer fast wieder raffinierten Unschuld.
Was mit Poesie begonnen hat, endet mit Selbstironie, zu der wohl nur kleine Völker mit großem innerem Gewicht wirklich begabt sind. Zunächst ist das eigentlich nur ironisch in Bezug auf die Filmhersteller selbst, wenn ein im Film selbst gar nicht ernst genommenes, in Wirklichkeit gar nicht gefährlich erscheinendes Requisit am Schluß Regisseur und Aufnahmestab in die Flucht schlägt, die Kamera in die Luft sprengt und die Zuschauer bei den Dreharbeiten unversehens in die Spielhandlung hineingemischt werden, glänzendes Beispiel einer Überpointe. Daß das Mädchen Eva in dieser ereignisreichen Nacht vor ihrem Studium noch mit der Liebe beginnt, wenigstens mit der Aussicht auf eine Liebe, ist allerdings nicht mehr ironisch und nicht mehr distanziert. Das wäre wohl auch nicht gut, gleichwohl finden sich hier die einzigen Stellen, die vergleichsweise etwas flacher sind und konventionell erscheinen.
Einen solchen Film mit einem so schwebenden Vorwurf künstlerisch zu bewältigen, verlangt eine hervorragende Regie, nicht zu reden von der Könnerschaft der Fotografie und aller anderen Elemente und Mittel filmischer Realisation. Der Film ist keineswegs nur der geniale Wurf eines jungen (damals 30jährigen) Regisseurs, alles in ihm ist in erster Linie gelernt. Dieses letzter sollte, ganz am Rande bemerkt, bei uns, wo so gerne von Filmkrisen und Filmakademien geplaudert wird, zu denken geben.
Filminfos
Gattung: | Spielfilm |
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Regie: | Tadeusz Chmielewski |
Darsteller: | Barbara Kwiatkowska; Stanislaw Mikulski; Ludwik Benoit; Z. Zintel |
Drehbuch: | Tadeusz Chmielewski; A. Czekalki |
Kamera: | Stefan Matyjaszkiewicz |
Musik: | Henryk Czyz |
Verleih: | Neue Filmkunst Walter Kirchner |
Jury-Begründung
Der Film erhielt einstimmig das höchste Prädikat.„Hinter de sieben Bergen“ liegt eine sonderbare Stadt. Sie kann auch ein Dorf sein, oder die menschliche Gesellschaft; sie kann bürgerlich sein oder sozialistisch. Eine Stadt der Phantasie, aber zu allererst ist sie polnisch.
Der Einleitungs-, eigentlich mehr Einstimmungstext ist eine Art von Ballade, begleitet von einer Musik, wie sie in Moritaten verwendet wird. Der ängstliche Turmhahn, der alles sieht und, um ruhig sitzen bleiben zu können, zu allem schweigt; und dann im gleichen Schwenk die Turmuhr, vielmehr der Platz, an dem sie eben noch war – unten auf der Straße sind Diebe gerade dabei, sie wegzutransportieren. Aber trotz dieses märchenhaften Anfangs und der fehlenden Uhr liegt die Stadt nicht so ganz außerhalb der Zeit.
Bevölkert wird sie in der Hauptsache von zwei Gruppen von Menschen: von Ganoven aller Schattierungen und von den Hütern der Ordnung übrigens, die es in der Stadt eigentlich nicht gibt. Die Hauptperson aber ist eine Fremde, ein junges Mädchen, das arglos und naiv durch alle die Schatten und all das Gelichter hindurchgeht, vor den Polizisten mehr Angst hat als vor den Verbrechern, das übrigens von beiden Seiten freundliche Hilfe erfährt, das nichts weiter will, als einen Platz zum Schlafen finden, denn am nächsten Morgen beginnt in der Stadt das Studium. Gibt es in dieser Stadt doch eine Ordnung? Ja. Aber sie ist nicht gesellschaftlich, nicht sozial, nicht organisiert. Sie ist ganz und gar individuell, gar nicht „human“, sondern nur menschlich.
Ein erstaunlicher Film aus dem Polen von 1957. Erstaunlich schon in seiner Verbindung von poetischem Charme und Kritik. Wie von altersher die Fabel, wird hier (einer heutigen Übung auch in anderen Ländern hinter dem Eisernen Vorhang entsprechend) das Märchen zum Kostüm, in dem die Parodie, die Kritik, der Antifunktionär auftreten. Eine eigenartige Poesie, die verspottet, die trotz stellenweiser Gefährdung durch harte Realität nie ganz verloren geht. Der Spott ist liebenswürdig und hält die gleiche kritische Distanz von den Ganoven wie von den Polizisten. Polizisten und Ganoven sind, wie man dann auf die erheiterndste Weise sieht, ohnedies austauschbar. Das Paradies auf Erden, das Paradies einer Klasse, gehört nicht mehr zum Programm. Wenn eine Vorstellung davon da ist, dann in der Verkörperung eines Menschen, in dem unschuldigen Mädchen, das einen Platz zum Schlafen sucht in einer nächtlichen Stadt.
Erstaunlich auch, wie dieser Film nach Jahren unsere Vorstellung von der polnischen Filmkunst – viel Grau und schwarze Schatten, Anklage und Probleme – korrigiert, wie diese gelungene Komödie das dunkle Bild aufhellt. Eine Komödie, die durchaus altbekannte Wurzeln hat: in der frühen Stummfilmzeit, Chaplinaden, noch weiter zurück in Märchen, Moritat und Romantik; aber vorgeführt mit der Beherrschung neuester fotografischer Filmeffekte. Was daraus entwuchs, ist etwas vollkommen Eigenständiges; in einer seiner rhythmischen Musikalität, beiden entgegengesetzten Ideologien, in die die ganze Welt heute angeblich geteilt ist, Bildgedicht eines fast romantischen polnischen „Lynkeus“, es realisiert sich in einer humorvollen Koexistenz von Verbrechern und Polizei, wobei Humor schon dadurch entstehen muß, daß beiden Seiten die menschlichen Unzulänglichkeiten gemeinsam sind; drohend erhobene Ziegelsteine kapitulieren vor unangreifbarer Unschuld, beliebte Filmvorwürfe des Ostens und des Westens werden in gleicher Weise parodiert: soziale Errungenschaften wie das „Arbeiterinnenhotel“, in dem männliche Besuche strikt verboten sind; aber keineswegs nicht allabendlich vorhanden sind, oder Musterbilder westlicher Dekadenz, z. B. Prostitution, hier dargestellt in einem ältlichen Straßenmädchen, das am warmen Wollschal für die ganzen alten Tage strickend auf Kundschaft wartet, vergeblich, wie zu vermuten steht, schon weil die „bürgerliche“ Konkurrenz, im „Arbeiterinnenhotel“ etwa, recht aktiv ist. Da ist der Polizeigewaltige, der durch seinen Kontrollbesuch in der Stadt dem Film zu einer köstlichen Serie von gar nicht oberflächlichen Gags verhilft, der beim Telefonieren den Hörer einer Ordonanz übergibt, um in Volksrednerstellung Musterbeispiele politischer Rhetorik eindeutiger Herkunft loswerden zu können; da ist der Verbrecher, der von woanders her ausgeliehen wird, um das Soll von Gefängnisinsassen in der Stadt zu erfüllen; da stehen den dummen Polizisten ungenügend begabte Verbrecherlehrlinge gegenüber. Auch eine anti-ideologische Masche ist dem Film fremd. Er vermeidet die in jeder Szene gewissermaßen rechts und links lauernde Gefahren der Vergröberung, des Stilbruchs, der Sentimentalität und eines unmittelbaren Realismus. Ein wenig sieht er das ganze Treiben wohl durch die Augen des Mädchens Eva, mit einer fast wieder raffinierten Unschuld.
Was mit Poesie begonnen hat, endet mit Selbstironie, zu der wohl nur kleine Völker mit großem innerem Gewicht wirklich begabt sind. Zunächst ist das eigentlich nur ironisch in Bezug auf die Filmhersteller selbst, wenn ein im Film selbst gar nicht ernst genommenes, in Wirklichkeit gar nicht gefährlich erscheinendes Requisit am Schluß Regisseur und Aufnahmestab in die Flucht schlägt, die Kamera in die Luft sprengt und die Zuschauer bei den Dreharbeiten unversehens in die Spielhandlung hineingemischt werden, glänzendes Beispiel einer Überpointe. Daß das Mädchen Eva in dieser ereignisreichen Nacht vor ihrem Studium noch mit der Liebe beginnt, wenigstens mit der Aussicht auf eine Liebe, ist allerdings nicht mehr ironisch und nicht mehr distanziert. Das wäre wohl auch nicht gut, gleichwohl finden sich hier die einzigen Stellen, die vergleichsweise etwas flacher sind und konventionell erscheinen.
Einen solchen Film mit einem so schwebenden Vorwurf künstlerisch zu bewältigen, verlangt eine hervorragende Regie, nicht zu reden von der Könnerschaft der Fotografie und aller anderen Elemente und Mittel filmischer Realisation. Der Film ist keineswegs nur der geniale Wurf eines jungen (damals 30jährigen) Regisseurs, alles in ihm ist in erster Linie gelernt. Dieses letzter sollte, ganz am Rande bemerkt, bei uns, wo so gerne von Filmkrisen und Filmakademien geplaudert wird, zu denken geben.