Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Auch mit geringen Mitteln kann ein Film in Staunen versetzten. In ENJOY THE MUSIC spricht die Protagonistin Edith Kraus die meiste Zeit direkt in die Kamera. Der Filmemacher Wilhelm Rösing und seine Partnerin, die Psychoanalytikerin Marita Bathel-Rösing, haben fünf Jahre lang Gespräche mit ihr geführt und aufgenommen. Ergänzend gibt es einige Interviewsequenzen mit Freunden, Kollegen und Schicksalsgenossinnen. Dazu kommen kurze Einschübe mit Originaldokumenten wie Fotografien, Plakaten, Zeitungsausschnitten und Notenblättern. Und auf der Tonspur erklingt immer wieder die von Edith Kraus gespielte Musik. Stilistisch ist dies eine sehr einfach gemachte Dokumentation, aber das gerade ist einer ihrer Vorzüge, denn so lenkt keine Filmkunst von dem ab, was darin erzählt wird. Die Kunst besteht hier darin, dass Edith Kraus so klar, tiefgründig und vielschichtig über ihr Leben spricht. Als Jüdin 1913 in Wien geboren, war sie ein Wunderkind am Piano. Nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Elfjährige entwickelte sie sich zu einer bekannten Solistin, bis sie nach dem Einmarsch der Deutschen in das Lager Theresienstadt verschleppt wurde, wo sie weiter als Musikerin auftrat und auch neue Stücke von Komponisten spielte, die dort ebenfalls inhaftiert waren. Als eine der wenigen Überlebenden von Theresienstadt lebte sie nach der Befreiung zuerst in Prag, doch als sich auch dort wieder eine antisemitische Stimmung entwickelte, zog sie nach Israel, wo sie weiter Piano spielte und lehrte. In den 1980er Jahren wurde sie durch die Einspielungen von Viktor Ullmanns in Theresienstadt komponierten Klaviersonaten bekannt. Rösing montiert jeweils die prägnantesten Sätze und Momente aus den verschiedenen Gesprächen zusammen. In den ersten Minuten mag es ein wenig irritieren, dass die Protagonistin von Satz zu Satz in unterschiedlichen Gesprächssituationen mit anderer Kleidung, Frisur, Ausleuchtung usw. gezeigt wird. Zum Teil schneidet Rösing mitten im Satz, und er versucht erst gar nicht, diese ständigen Sprünge auf der Bildebene zu kaschieren. Aber der Zuschauer gewöhnt sich schnell an dieses, sicher auch aus der Not geborene, Stilmittel, denn auf der Tonebene hat der Film einen ruhigen und klaren Fluss. Offensichtlich entwickelte sich eine große Vertrautheit zwischen Edith Kraus und den Filmemachern und so kommen sie ihr mit der Kamera sehr nah. Deshalb bekommt man auch einen intensiven Eindruck davon, was für ein elementarer und heilsamer Faktor die Musik in ihrem Leben war. Immer wieder spricht sie liebevoll von einzelnen Musikstücken, ihren Lehrern und Schülern, den Komponisten und befreundeten Musikern. Die Musik gab ihr die innere Kraft, trotz ihrer schrecklichen Erfahrungen nicht zu verbittern. In diesem Sinne ist ENJOY THE MUSIC auch ein hoffnungsvoller Film.